Filmszenen I Der Anwalt und sein Gast. Kommentar: Christian – a christian. (Heino Ferch als Christian Weller) in: Der Anwalt und sein Gast, 2002-2003

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Kommentar: Christian – a christian. Samuel von Pufendorf, Ethischer Codex und Sündenfall. (Heino Ferch als Christian Weller) in: Der Anwalt und sein Gast, 2002-2003

Christian ein sprechender Name.

Ähnlich wie in dem Film Das Wunder von Lengede, in dem der Mann, der dem Protagonisten das Leben rettet, Salvatore, heißt -zu Deutsch: der Retter, kann auch in „Der Anwalt“ der Name des Protagonisten Christian als sprechender Name gelesen werden.

Christian wird auf Englisch krist-schn ausgesprochen und bedeutet dort im primären Wortsinn: der dem christlichen Glauben Angehörende, der Christ.

Christian Weller wird als Mann mit ethischem Codex eingeführt. Dass es sich um den christlichen Codex handeln könnte, zeigt uns die erste Szene mit Karmann in der Gefängniszelle.

Christian möchte das Durchsetzen des Prinzips Gerechtigkeit nicht zynisch trennen zwischen juristischer Paragraphentreue und menschlichem Gerechtigkeitsempfinden.

(siehe dazu: Samuel von Pufendorf: Naturrechtslehre )

In einem Gespräch mit Juliette bestätigt er diesen ethischen Kodex als seinen persönlichen. Ich fordere das nicht für alle, als allgemeine Moral. Jeder, wie er will. Ich will nachts nur ruhig schlafen können. (Zitat sinngemäß.)

Christian – der Christ:

Gleich in der ersten Szene mit Karmann in der Gefängniszelle führt die Handlung ihn mit einer modernen Version der Georgi-Rittergeste ein.

Wie der Heilige Ritter Georg ohne Zögern (ohne Zögern ist wichtig, es bedeutet: das Handlungsmuster ist emotional eingebrannt, bedarf keiner intellektuellen Reflexion, die ein Zögern auslösen würde) einen Teil seiner eigenen Kleidung, die Hälfte seines Rittermantels, mit dem Bedürftigen, dem nackten Bettler teilte, gibt Weller dem nackten Häftling, dem Bedürftigen, ohne Zögern sofort einen Teil seiner eigenen Kleidung: seinen Mantel.

Titelbild Naturrechtslehre Samuel von Pufendorf

Zweite Interpretation: Eines der Hauptpostulate des Rechtsgelehrten und Begründers der Naturrechtslehre Samuel von Pufendorf war, daß jeder Mensch ein Recht auf medizinische Versorgung, auf gesunde Nahrung und auf KLEIDUNG haben sollte. Christian Weller fordert dieses Recht sofort ein, als er sieht , dass Karmann dieses Recht genommen wurde. Er setzt mit Hilfe seiner eigenen Kleidung dieses Recht durch.



Dritte Interpretation: Dies ist auch eines der Sieben Werke der Barmherzigkeit. Fünf der sieben Werke der Barmherzigkeit kommen in diesem Film vor: Hungrige speisen, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen.

Christliches Werteraster, Sündenfall und Gewissen:

Als Christians Leben durch Karmann scheinbar völlig zerstört wird, passiert ihm sein persönlicher Sündenfall:

um Karmann so sehr zu belasten, dass ihn die Polizei abholt und somit aus seinem Privatleben entfernt, lügt er.

Das Tranchiermesser – wir erinnern uns, der Frauenmörder hatte mit einem Tranchiermesser dreissig, vierzig Mal zugestochen – hatte Karmann ihm nie gezeigt.

Weller behauptet dies allerdings gegenüber der Staats-anwaltschaft, was folgerichrig den Haftbefehl gegen Karmann auslöst.

Das ist zwar nicht soo schlimm, weil es nur eine punktuelle Aktion bewirkt und Karmann nicht gänzlich vernichtet, – aber Christian verstößt hiermit gegen sein christliches Werteraster.

Er verstößt mit dieser Lüge gegen ein christliches Gebot, das achte:

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Daß Karmann selbst – betrachten wir sein Handeln im Rahmen desselben christlichen Wertekodex´ – gegen zwei Gebote verstoßen hat, wird nicht weiter thematisiert, Christian sagte ja, „jeder nach seiner Fasson, jeder wie er will“ (Das neunte Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Das zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist.)

Nebenthema des Films ist das ethische Werteraster des Protagonisten und der bedrückende Beweis, dass es nicht auszuschließen ist, dass auch für den, der guten Willens ist, ein Punkt kommen kann, an dem er seinen ethischen Prinzipien untreu wird; dass es nur eine Frage des Grades der Belastung ist, bis der Sündenfall eintritt.

In Christians Fall ist der Grad der Belastung, allen pekuniären und allen seelischen Besitz loslassen zu müssen.

Der springende Punkt, die Kernfrage, ist: soll Christian das alles hinnehmen oder soll er sich wehren? Gegenwehr bedeutet in diesem Fall Sündenfall.

Christian geht noch weiter. Das Tranchiermesser wandert in seine Hand.

So bekommt der Lauf gegen die Wand, außer, dass er Ausdruck sprachlosen seelischen Schmerzes ist, auch einen Aspekt von Selbstbestrafung.

vierter Interpretation Nachtrag Juni 2009:

Nachtrag zu Der Anwalt und sein Gast: Kommentar Christian – a christian. Erst jetzt – Jahre nach der Besprechung – fällt uns auf, dass wir eine wichtige Subtext-Story in Der Anwalt und sein Gast komplett übersehen hatten: Der Anwalt, bzw. sein Schicksal, dass ihm alles, was er liebt, genommen wird, ist eine Paraphrase auf das Buch HIOB des ALTEN TESTAMENTS.

Hiob:

Hiob ist ein verheirateter, wohlhabender Mann, gesegnet mit Kindern und Gesundheit. Da wird er mit Zustimmung von Gott vom Satan geprüft. Hiob wird alles genommen: Besitz, Ansehen, Gesundheit und gar seine Kinder. Hiob hadert mit Gott – wird er trotz dieser scheinbar sinnlosen Ungerechtigkeit an Gott festhalten oder wird er sich von ihm abwenden?

Die Story um Christian Weller ist identisch und läuft auf die identische Frage hinaus: wird er seinen Grundsätzen in Bezug auf seinen Klienten Karmann treu bleiben, oder wird er sich abwenden, wird er schwach? Weller wurde schwach. Die Staatsanwältin am Schluß zu ihm: Jetzt sind Sie kein Guter mehr.

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Die Rolle des Rechtsgelehrten Weller ist m.E eine symbolische Verbeugung vor dem dem Rechtsgelehrten Samuel von Pufendorf. ———–


Stil der Darstellung – Heino Ferch zeigt m.E. eine filmlange perfekte Choreografie darstellungsstilistischer Figuren, Module, Motive, die m.E. in jahrelanger Arbeit entwickelt wurden und hier einen fließenden, ästhetisch begeisternden Ablauf bilden.


Er spielt, wie m.E, nicht „streaming“ , m.E. ist jeder Lidschlag, jeder Atemzug exakt choreografiert.-

…ein Höhepunkt der Liaison mit der Kamera, die mit der Very Close up Technik seiner großen darstellerischen Stärke im feinst differenzierten mimischen Ausdruck ein wunderbares Feld bietet. Darstellung und Inhalt – ein, sein Capolavoro.

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