Filmszenen I „…your art saved you!“ in: Ghetto.Teil 7. Heino Ferch – Jakob Gens. Germany Lithuania 2004-2006

Bildquelle und alle Bildrechte bei Stardust-Filmverleih

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14.9.2006

Kittel bestellt die gesamte Theatertruppe auf die Bühne zum Vorspiel.

Die Truppe führt eine Satire auf das Hitlerregime vor, euphorisch von Kittel beklatscht.

A juicy peace of satire! kommentiert er die Vorführung.

Dann entdeckt er, dass Haya, our nightingale, fehlt.

Seine Stimmung schlägt um.

Satire!

Schreit er in kalter Wut.

I´ll show you satire!!

To the wall!!

Mit dem Gesicht zur Wand, die Arme über den Kopf, müssen die Mitglieder der Theatertruppe sich an der Bühnenseite aufreihen, schnell, im Laufschritt.

Kittel laut, dass es jeder hören kann:

Machine gun!! In position!!

Die Menschen dürfen sich nicht umsehen.

Sie können hören, dass sie augenblicklich exekutiert werden sollen.

Das Knirschen eines schweren, langsam bewegten Wagens mit großen Rädern und das Quietschen von Radnaben müssen sie für eine Lafette halten.

Gens ist nicht dabei an der Wand, er eilt jetzt über den seitlichen Bühnenaufgang auf das Bühnenpodest. Kittel bedeutet ihm mit einer Geste, die seine unverhohlene Vorfreude über seine „Satire“ zeigt, dass er still sein, ihm den „Spaß“ nicht verderben soll.

Nahaufnahme in die Gesichter der Schauspieler. Todesangst.

Kittel, schreit: Fire!

Ein dumpfer Knall.

Keine Kanonensalve, Kittel trat mit dem Stiefel gegen den Wagen, das laute Geräusch reichte aus, um die Todesfurcht in jedem einzelnen der angstgefolterten Menschen explodieren zu lassen.

Sie schreien auf, wimmern, fallen auf die Knie, weinen.

Kittel ist amüsiert, sehr belustigt, lacht laut.

Langsam, zögernd, wagen es die Leute, sich nach Kittel umzudrehen.

Kittel You thought I would shoot you after your marvellous performance?

No my friends, your art saved you. You´ve given me great pleasure and joy.

This is the expression of my gratitude.

Noch immer leiden die Gefolterten an den Auswirkungen ihrer eben durchstandenen Todesangst, weinen leise, halten sich gegenseitig im Arm.

Kittel Come, my friends, come!

Jetzt sehen auch wir zum ersten Mal, was die Lafette geladen hatte. Keine Kanone, sondern einen riesigen Bottich mit Johannisbeermarmelade und zwanzig bis dreissig Laib Weissbrot.

Kittel probiert die Marmelade, taucht die Finger in den Bottich und leckt sie ab.

Genüsslich Mmmh … Delicious!

Black current marmelade. Come my friends. Break bread with me.

Kittel nimmt einen Laib vom Wagen, bricht ihn, verteilt die Stücke. Eines wirft er Gens zu.

Come on Gens!! Come on !

Der gute Onkel Kittel verteilt jovial lächelnd Brot und lädt zum Genuss der süßen Köstlichkeit ein. Der Diktator lädt zu einer ultima cena, einem letzten Abendmahl.

Zögernd zuerst, dann zusehends vertrauensvoller, nehmen die Leute die Stücke an.

Auch Gens  nimmt einen Bissen, beginnt davon zu essen.

Die ausgehungerten Menschen tauchen die Brote in die Marmelade, kauen große Bissen, lächeln, lachen erfreut, glücklich. Die Frauen kichern.

Help yourself, help yourself! ermuntert Kittel immer weiter.

Es ist leise auf dem Bühnenpodest, die Menschen essen schnell, immer gieriger nach den langen Entbehrungen, dem monatelangen Hungern.

Jetzt lässt Kittel die Leute allein um den Bottich stehen, begibt sich lächelnd zur Seite, immer weiter.

Einen Moment lang sehen wir noch seinen Rücken, seine Schulter, das verlorene Profil. Gerade lange genug, dass wir zu ahnen beginnen: das Finale ist noch nicht vorüber.

Schnitt.

Die Bauchredner-„Puppe“ und Gens in Nahaufnahme.

Die „Puppe“ lacht und isst, gibt sich ganz dem Genuß, essen zu dürfen, hin.

Gens weiß mehr. Er kennt Kittel zu gut.
Er isst längst nicht mehr mit, hat zu Kauen aufgehört.

Sein Gesicht ist todernst, tödlich ernst besorgt.

Spuren bitterster Vorahnung verdunkeln seinen Blick, nisten sich in die Schattenfurchen der Stirn, kriechen die Augenhöhlen entlang, die Wangen herab.

Kittel dreht sich um.

Close up Kittel. Der Diktator lächelt uns an.

Hinter ihm öffnet sich eine Tür. Gleißend blaues Licht strömt ein. Wir hören das Quietschen, das Knarren der Türangeln. Nur unser Unterbewusstsein sagt: so etwas haben wir doch gerade gehört, die Lafette….?

Die Adjutanten Kittels treten ein, ihre Stiefel knallen laut auf den Bodendielen.

Schnitt.

Blick auf die Truppe. Sie ist noch immer um den Bottich geschart, mit dem Rücken zu den Eintretenden.

Nur Gens sieht sie, Kittels Schergen. Er steht uns gegenüber, im Halbdunkel, frontal.
Er tritt näher, wir bemerken besorgt, dass in seinem Gesicht ungläubig abwehrendes Staunen Platz greift.

Nahaufnahme Kittel. Er blickt uns ruhig entgegen.

Schnitt auf Gens.
Jetzt ist er ganz nah bei uns.

Der Tod, die feuerbereiten Maschinengewehre, nahen so rasch, dass zwischen Begreifen und Abwehr nur Sekunden verstreichen…
Gens schüttelt den Kopf, entsetzt, hastig, ein lautloses:

Nein. Nein!

Wir fühlen, er meint dieses Nein! nicht für sich, sondern für Menschen hinter sich, für deren Überleben er die Verantwortung trägt.

Die Adjutanten kommen näher, näher – an die ahnungslosen Schauspieler heran.

Schnitt. Close up Gens.

Er reisst die Hand hoch. Wehrt ab.

No! Nooo!

Sein Schrei aus weit aufgerissenem Mund
ist ohrenbetäubend,
schneidet in unsere Nerven,
zischt nadelnd über unsere Haut,
die geweiteten Augen machen uns Angst,
seine Pupillen stehen frei,
wir sehen die abwehrende Hand direkt vor uns.

Entsetzen…

Schnitt.

Maschinengewehrsalven begleiten unseren Blick auf das völlig ruhige Gesicht von Bruno Kittel.

Seine Leute mähen alle Juden im Raum nieder.

Die MG-s feuern, bis die letzte Patrone durch die Magazine gerauscht ist.

Stille.

Nur ein hoher Ton steht in der Luft, ein Ton, wie er nach ohrenbetäubendem Lärm in unserem Kopf nachhallt.

Heino Ferch als Jacob Gens - der historische Gens


Jakob Gens wurde am 14. September 1943 exekutiert, heute von 63 Jahren.


2004-2006 Heino Ferch – Jakob Gens, Sebastian Hülk – Kittel, Erika Maroszan – Die Sängerin Haya, Jörk Lamprecht – Dessler, Vytautas Sapranauskas – Weisskopf, die ganz exzellente Musik(dramaturige), die sehr viel zur eindrucksvollen Wirkung des Films beiträgt, ist von: Anatolijus Senderovas.

Zum mimischen Ausdruck:

Ich muss es einfach noch einmal sagen, auch wenn ich mich wiederhole. Heino Ferch ist in der Lage, so vielfältige Kombinationen feinster Nuancen verschiedener Seelenlagen -z.B.aus dem Bereich der emotionalen Farben Trauer, Bitternis, Schmerz, Wut, – zu mischen, dass er nicht nur über -zig mimische Ausdrucksvarianten verfügt, nicht über Hunderte, es scheinen Tausende zu sein, Tausende von Kombinationen zartester Varianten, die ungeheuer ansprechen, treffen können.

Varianten wie die Ziffern- Kombinationenen eines vierstelligen Zahlenschlosses. Es sind nur Augen, Mund, Wangen, Stirn und es sind tausend Gesichter , tausend Nuancen, tausend Botschaften. Allein z.B. die Augenpartie. Gegen ihn wirken andere Schauspieler wie gebotoxt.

Und jetzt das Groteske an der Sache:
Die Tagespresse hat den Darsteller lange als den „Mann mit dem steinernen Gesicht“ gehandelt, den „Mann ohne Varianten im mimischen Ausdruck“.
Vermeidungsverhalten, Abwehr der Journalisten mit dem Ratio-Ideal, um die Eindrücklichkeit nicht fühlen zu müssen? Moderne Blindheit? Es könnte ja immerhin anstrengend werden, sich emotional einzulassen.

Link zum Film  „NIcht alle waren Mörder von Jo Baier mit Nadja Uhl, Axel Prahl, Merab Ninidze->->

Link zum Film „Der Stellvertreter mit Ulrich Tukur->->

Link zum Film „Der neunte Tag“ mit Ulrich Matthes->->

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