Filmszenen I …wir sollten exekutiert werden…in: Und Jimmy ging zum Regenbogen. Teil 4. Heino Ferch – Manuel Aranda. Regie: Carlo Rola 2007-08

Teaser Film Und Jimmy ging zum Regenbogen. Heino Ferch - Manuel Aranda

Bildquelle und Bildrechte bei MOOVIE Produktionsgesellschaft und ZDF

…wir sollten exekutiert werden…in: Und Jimmy ging zum Regenbogen.  Teil 4. Heino Ferch – Manuel Aranda. Regie: Carlo Rola 2007-08

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Vor der Szene

Manuel wurde die Wiedereinreise in sein Heimatland Argentinien untersagt, sein Pass und sein Vermögen zu Hause in Südamerika beschlagnahmt. Der Botschafter drohte Manuel:

..das Innenministerium teilt Ihnen mit, dass Sie als Mitwisser in dem Augenblick verhaftet werden, in dem Sie argentinischen Boden betreten.

Die Szene

Abend.

Hofrat Groll hat Manuel und Irene zu sich in ein Büro im LKA gebeten.

Der Raum ist dunkel und fensterlos. Hofrat Groll hat bereits einen Gast: Siegfried, den Besitzer des Tangolokals, Freund und Informant. Espressotassen vor den beiden lassen uns vermuten, dass die beiden Männer schon längere Zeit im Gespräch waren, wahrscheinlich auf Manuel und Irene warteten.

Hofrat Groll zu Manuel und Irene

Nehmt Platz. …bitte!

Siegfried hat Euch etwas zu sagen.

Manuel und Irene stehen noch in Türnähe, als Siegfried bereits zu sprechen beginnt:

Ihr… wisst, dass ich ´ne Zeitlang in Argentinien gelebt habe.

Totale. Wir sehen jetzt den ganzen Raum.

Nüchtern, grau, spartanisch leer wie eine Mönchszelle. Spärliches Licht tröpfelt milchweiss aus einer modernen Stehlampe. Sie erhellt ein Wandgraffito, das wirkt wie ein monumentales Geheimzeichen aus Kreis und Sekante.

Ein großer schwarzer Besprechungstisch in der Raummitte. Zwei freie Stühle. Irene setzt sich. Manuel folgt ihr, nimmt drei Schritt entfernt auf dem zweiten Stuhl Platz.

Er sieht gar nicht gut aus, extrem mitgenommen. Er wirkt unterhöhlt, irgendwie fassungslos, instabil, ohne Hoffnung, wie jemand, der etwas fühlt, das sich wie ein schweres Gewicht auf ihn gelegt hat und:

wie ein Mensch, der nicht weiss, wie es weitergehen soll.

Er hört Siegfried zu.

Siegfried:

…Es gab damals ´ne ganze Reihe Deutscher, die etwas für die Revolution in der Dritten Welt tun wollten.

´76 putschte dann das Militär …..und viele von uns wurden verhaftet.

Zu Manuel:

…als ich sein Bild in der Zeitung sah, hab´ich Ihren Vater sofort wieder erkannt.

Aber ich dachte, warum die alten Dinge wieder aufrühren?

Irene blickt alarmiert zu ihrem Freund, der dreht langsam ein wenig den Kopf und erwidert Irenes Blick.

Siegfried:

…doch dann kamen die Bilder von damals immer wieder…

…es war in einer Kaserne.

Siegfrieds Gesicht dunkelt ab, altes Filmmaterial leuchtet auf.

Wir hören sofort laute Schreie, sehen in einer kahlen Halle einen zimmerhohen Käfig, an den na ck te Männer scheinbar angekettet sind. Die Männer halten ihre Hände wie von Fesseln gezwungen über den Kopf.

Neben dem Käfig eine Art Gestell am Boden. Darauf ist ein Mann, auch völlig ohne Kleidung, in liegender Position festgebunden. Ein Soldat beugt sich über ihn, berührt ihn mit einem Gegenstand. Der Liegende zuckt, schüttelt, offenbar ein Krampf: elektrischer Strom. Er wird mit Stromschlägen gefoltert.

Schnitt. Nah:

Wir gehen dicht am Käfiggitter entlang, vor uns ein Mann, der leblos, bewusstlos scheint. Nur die Handgelenksfesseln über seinem Kopf strecken ihn gewaltsam in aufrechte Position. Dahinter Soldaten mit Helmen und Waffen. Sie jagen einen Mann vor sich her, schlagen ihn, schleppen ihn weg.

Wir hören Siegfrieds Stimme:

..er half den Militärs.

Der Blick wird frei auf mehrere Beobachter, einer davon in zivil. Es ist Rodolpho Aranda.

In einer Doppelbelichtung sehen wir gleichzeitig Manuel von seinem Sitz auffahren, so, als wolle er weg aus der Situation – und die Misshandlungen der Soldaten an den Gefangenen im Käfig.

…als Denunziant und Dolmetscher.

Und immer, als ob es selbstverständlich wäre.

Die Doppelbelichtung zeigt uns immer noch die Soldaten, die schlagen. Schmerzensschreie.

Nah einer der Misshandelten. Auch er ohne Kleidung, vornübergebeugt, scheinbar fast bewußtlos. Sein Haar, sein Körper sind nass, Blut tropft von seiner Stirn. Man ahnt eine vorausgegangene Folter. Ein Soldat verhöhnt ihn: der Misshandelte ist Siegfried, fünfundzwanzig Jahre jünger.

Wir blicken durch die Augen des jungen Siegfried und sehen ganz nah vor uns Rodolpho Aranda.

Schnitt. Wieder in Hofrat Grolls Büro.

Siegfried:

Dass ich so einen deutschen Namen habe, hat mir das Leben gerettet.

Wir sollten exekutiert werden.

Draussen knallten die Gewehrsalven.

Aus der Vergangenheit dringen die Schreie und Geräusche der Folter wie ein Echo in Hofrat Grolls Büro.

Erneuter Backflash. Ein Soldat fragt auf spanisch:

Wie heißt Du mein Freund?

Siegfried? Wie aus der Oper? Der Soldat kichert infantil.

Zum anderen:

Den hier nicht. Der ist ein echter Siegfried, den kann man doch nicht einfach so umbringen…!

Zu Siegfried:

Wir haben noch viele Fragen, Siegfried. Du wirst doch für uns singen? Stimmt´s?

Wieder nah das Gesicht von Aranda senior. Siegfried sieht wie Aranda auf ihn herabblickt: Unbewegt, emotionslos.

Dann dreht Aranda sich weg und gibt den Blick frei auf eine Gruppe Menschen, völlig na ck t, auf Metallboden an einer schmutzigen Pfeilerkante.

An den Körperhaltungen erkennen wir, dass die Leute verzweifelt sind. Aus dem Hintergrund hören wir Brüllen, Schläge, metallische Geräusche.

Einer der Menschen hockt wie ein kleines Kind zusammengekrümmt am Boden, schaukelt vor und zurück. Wir hören ihn schreien, er weint laut.

Überblendung auf Manuels Gesicht, das Gesicht eines alten Mannes. Er wirkt um Jahre, um ein halbes Menschenleben gealtert.

Er wendet sich ab, geht hinaus.

Irene will Manuel hinterher gehen. Hofrat Groll hält sie zurück. Er will selbst mit Manuel reden.

Schnitt.

Hofrat Groll findet Manuel im Waschraum – Und schneidet dort das letzte Sicherungsseil durch, das Manuel in der Gemeinschaft hält: die Verbindung zu seiner Gefährtin.

Manuel Aranda nach der Entschluesselung der Unterlagen seines Vaters

Manuel muss Irene freigeben.

Der sichere Boden unter Manuels Füßen wurde in diesen Tagen zu einer Eisscholle, die zu schnell schmolz. Nichts trägt ihn jetzt mehr. Er fällt, er geht unter…

2007 – 2008 Heino Ferch (im Alter von 44) – Manuel Aranda, Dennenesch Zoudé – Irene Waldeck, Wolf-Dietrich Sprenger – Hofrat Groll, Christian Pätzold – Siegfried

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Der Fall des Helden an einen Ort, der ihn nicht mehr tragen kann, eine persönliche Hölle ist, ein luftleerer Raum, die Illegalität, der Tod, ein Ort, der Überleben körperlich oder seelisch unwahrscheinlich macht, wiederholt sich mehrmals im Werk unseres Protagonisten:

  • Winterschläfer (1996-97): Marco´s Flucht vor dem Vater des zu Tode gekommenen Mädchens endet mit einem Flug aus unserer Welt hinaus in eine dunkle Gletscherspalte, einem Ort, an dem Überleben körperlich nicht denkbar ist. Seine Versuche, sich seelisch bei Becki zu verankern wurden immer erfolgloser. Kurz vor seinem Todessturz ist er bereits seelisch aus der Welt der Gemeinschaftlichkeit herausgestürzt.
  • Grüne Wüste (1998-99): Schluss-Szene: Achtzehn fuffzich. Simon ist aus der Normalität herausgefallen. Er ist jetzt an einem seelischen Ort, der ihn aus der Verbindlichkeit mit allen Anderen und allem Anderen irreversibel herauskatapultiert hat.

  • Die Mauer – Berlin ´61 (2005-06): Hans Kuhlke wird per Einwirkung einer weit über seinem Einfluss liegenden Instanz aus seiner Welt, seinem Arbeitsplatz als Bauarbeiter, seiner Umgebung Ostberlin, hinausgeworfen, hinauskatapultiert. Er befindet sich an einem Ort, der für ihn „nirgendwo“ ist und zieht sich für seine Umgebung erkennbar zusätzlich an den Ort eines inneren „nirgendwo“ („Hans, gibt’s denn den nicht mehr?“) zurück


Kommentar 2:

Was sehen wir in der Käfigszene? Guantanamo-artige Bilder. Nein. So geht das nicht. Eine Etikettierung enthebt uns der Notwendigkeit genau zu sagen, was wir sehen. Wir sehen Menschen, die ihrer Menschenwürde beraubt sind.

Was ist Menschenwürde? Menschenwürde gehört zu den Menschenrechten und die sind eine europäische Erfindung. Der Begriff Menschenwürde gehört zur Naturrechtslehre (s.a. Völkerrecht).

Definition Wikipedia:

„Dem Begriff des Naturrechts kann die Überzeugung zugrunde liegen, dass jeder Mensch „von Natur aus“ (also nicht durch Konvention) mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet sei – unabhängig von Geschlecht, Alter, Ort, Staatszugehörigkeit oder der Zeit und der Staatsform, in der er lebt.

Dazu gehören das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder das Recht auf persönliche Freiheit.“

„Mit Naturrecht (s.a. Völkerrecht) wird das Recht bezeichnet, das sich aus der Natur des Menschen ergibt und damit nicht durch einen Gesetzgeber gesetzt werden muss.

Entsprechend geht die Naturrechtslehre davon aus, dass hinter dem positiven Recht ein höheres Recht existiert, aus dem das positive Recht abgeleitet wird und an welchem es sich messen lassen muss. Qu: http://www.lexexakt.de/glossar/naturrecht.php

„Die Naturrechte werden demnach als vor- und überstaatliche „ewige“ Rechte angesehen. (…) Die Idee der Naturrechte (in beiden Ausprägungen) reicht bis in die griechische Antike zurück und gewann im Zeitalter der Aufklärung (17. bis 18. Jahrhundert) politische Bedeutung.

Sie befand sich in Opposition zum christlichmittelalterlichen Verständnis der Gnade, demgemäß Eigenschaften wie Leben oder Freiheit durch gnädige Autoritäten wie Gott oder den Fürsten persönlich und willkürlich verliehen seien, ohne dass ein Recht darauf bestehe.

Bedeutende Vertreter der Naturrechtslehre sind Aristoteles, Thomas von Aquin, Jean Jacques Rousseau, Immanuel Kant und im 17. Jh: Samuel von Pufendorf.

Kommentar 3: Die Textteile der Arisierung von Heinz ähneln sehr start Bildern und Texten aus „Der Unhold.“

Kommentar 4: Aus Irene Waldegg im Simmel´schen Original wurde in der Neufassung Irene Waldeck. Diese kleine Änderung evoziert die Erinnerung an ein Ereignis, bzw. dessen Ort: Auf der Burg Waldeck fanden 1964-1969 Antikriegs- bzw Friedens-Musikfestivals der Liedermacher statt, z.B. mit Hannes Wader , Hanns Dieter Hüsch, Reinhard Mey und Franz Josef Degenhardt („Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen)

Kommentar 5: Hofrat Groll erzählt, wie er und Siegfried sich kennengelernt hatten. Siegfried war in den 70ern Demonstrant, Groll Einsatzpolizist. Zuerst musste er Siegfried schlagen, dann brachte er ihn ins Krankenhaus. Die beiden schlossen Freundschaft und Siegfried wollte Grolls Helm als Erinnerung, als Freundschaftspfand, gerne behalten. In den Kleidern von Freund und Vorbild zu stecken, kommt auch heut´noch vor-> (Foto Rainer Vinzent Veranstaltung Texas Trading Trophy 2007)

8.11.2008
– –

wir lassen zum Vergleich und für eine möglicherweise nötige Urheberrechtsdiskussion Thema: widerrechtliche Nachahmung oder ausreichende Schöpfungshöhe? einmal eine Entwurfsfassung hier stehen. Ein direkter Vergleich zwischen protokollierender Beschreibung und interpretativer Beschreibung zeigt sofort das kreative Delta.

Vor der Szene

Manuel wurde die Wiedereinreise in sein Heimatland Argentinien untersagt, sein Pass und sein Vermögen zu Hause in Argentinien beschlagnahmt. Der Botschafter drohte Manuel:

..das Innenministerium teilt Ihnen mit, dass Sie als Mitwisser in dem Augenblick verhaftet werden, in dem Sie argentinischen Boden betreten.

Die Szene

Hofrat Groll hat Manuel und Irene zu sich in ein Büro im LKA gebeten. Dort wartet bereits der Besitzer des Tangolokals und Jugendfreund von Hofrat Groll, Siegfried.

Hofrat Groll zu Manuel und Irene

Nehmt Platz. …bitte!

Siegfried hat Euch etwas zu sagen

Siegfried

Ihr… wisst, dass ich ´ne zeitlang in Argentinien gelebt habe…Es gab damals ´ne ganze Reihe Deutscher, die etwas für die Revolution in der Dritten Welt tun wollten.

´76 putschte dann das Militär …..und viele von uns wurden verhaftet.

Zu Manuel:

…als ich sein Bild in der Zeitung sah, hab´ich Ihren Vater sofort wieder erkannt.

Aber ich dachte, warum die alten Dinge wieder aufrühren.

– Blicke –

Siegfried

…doch dann kamen die Bilder von damals immer wieder…

…es war in einer Kaserne.

– Bilder Gefangener –

..er half den Militärs.

– Überblendungen.-

…als Denunziant und Dolmetscher.

Und immer, als ob es selbstverständlich wäre.

– Ende Überblendungen.

Dass ich so einen deutschen Namen habe, hat mir das Leben gerettet.

Wir sollten exekutiert werden. Draussen knallten die Gewehrsalven.

– Rückblende Originalton spanisch.

Ein Mann verhöhnt einen Gefangenen, es ist Siegfried.

Wie heißt Du mein Freund?

– Überblendung Nahaufnahme auf einen Gefolterten. Nur Gesicht. Haare, Haut, Ausdruck. Nass. –

Siegfried? Wie aus der Oper!

Ein Soldat zum anderen:

Den hier nicht. Der ist ein echter Siegfried, den kann man doch nicht einfach so umbringen…!

Zu Siegfried:

Wir haben noch viele Fragen, Siegfried. Du wirst doch für uns singen? Stimmt´s?

Nah Gesicht Aranda senior. Unbewegt.

Dreht sich weg.

Blick frei auf eine Gruppe Menschen, völlig ohne Kleider, auf Betonboden an einem Betonpfeiler.

Man kann an den Körperhaltungen erkennen, dass die Leute verzweifelt sind. Hintergrund: Brüllen, Schläge, metallische Geräusche.

Einer hockt wie ein kleines Kind zusammengekrümmt am Boden, schaukelt vor und zurück. Wir hören ihn schreien, er weint laut.

Überblendung auf Manuels Gesicht.

Close up Beschr. Emotion-

Halbtotale.

Er wendet sich ab, geht hinaus.

Irene will Manuel hinterher gehen. Hofrat Groll hält sie zurück. Er will selbst mit Manuel reden. Er findet Manuel im Waschraum – Und schneidet dort das letzte Sicherungsseil durch, das Manuel in der Gemeinschaft hält: die Verbindung zu seiner Gefährtin.

Manuel muss Irene freigeben.

Der sichere Boden unter Manuels Füßen wurde in den letzten Tagen zu einer Eisscholle, die zu schnell schmolz. Nichts trägt ihn jetzt mehr. Er fällt in einen luftleeren Raum…

2007 – 2008 Heino Ferch (im Alter von 44) – Manuel Aranda, Dennenesch Zoudé – Irene Waldeck, Wolf-Dietrich Sprenger – Hofrat Groll, Christian Pätzold – Siegfried

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