Filmszenen I „…Irgendwann ist dann Herr Bretz mit Melanie im Arm bei der Stationsschwester erschienen. “ Szene aus Straight Shooter, 1999.

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„…Irgendwann ist dann Herr Bretz mit Melanie im Arm bei der Stationsschwester erschienen. “ Straight Shooter Teil 1, 1999.

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„Irgendwann ist dann Herr Bretz mit Melanie im Arm bei der Stationsschwester erschienen. Da war sie schon tot.“ Szene aus Straight Shooter, Buch und Regie Thomas Bohn, Produktion: Josef Vilsmeier, perathon 1999.

Audio.mp3 (Sprecher und Text: ignazwrobel) (neue Version von 2007)

Die Filmhandlung hat zu klären, warum Volker Bretz zum Amokläufer geworden ist. Volker Bretz war Vater und Ehemann, von Beruf war er Soldat in der Fremdenlegion mit Kampfeinsatz.

Das Ermittlungsteam besucht das Krankenhaus, in dem die Tochter von Volker Bretz, Melanie, vielleicht 10 Jahre alt, gewesen war. Sie hatte Krebs.

Der Chefarzt erzählt:

In der Sterbestunde des Kindes war Bretz dabei, seine Frau nicht, die war mit den Nerven schon so fertig.

Wir hören die Stimme des Chefarztes über einer Schwarzweiss- Rückblende.

Ganz nah das Gesicht von Bretz, er ist noch jünger, das Haar nicht so brutalistisch abrasiert. Er trägt Pullover, einen weichen warmen Pullover. Das Gesicht ist fast vollständig verschattet, wir bekommen nur punktuelle Informationen, Zusammenschnitte einzelner Momente,

eine Männerhand, die ein bloßes Kinderärmchen wäscht, der kahle Hinterkopf des Kindes,

der sterbenskranke glänzende Blick in dem Kindergesicht, ein besorgter und angstvoller Blick von Bretz zur Seite, als suche er dort etwas,

er direkt bei seinem Kind, wir sehen ganz nah zwei Finger seiner Männerhand, die über das Pflaster einer Kanüle streicheln, die in der Kinderhand steckt.

Der Arzt:

Es hat zwei Tage und zwei Nächte gedauert. Irgendwann ist dann Herr Bretz mit Melanie im Arm bei der Stationsschwester erschienen. Da war sie schon tot.

Er hat sie dann, leblos wie sie war, im Krankenhausflur herumgetragen. Schließlich hat er sich mit ihr mitten..

Rückblende.

der Arzt spricht weiter…..auf den Gang der Station gesetzt und sie an sich gedrückt.

Wir sind auf Augenhöhe mit dem Vater, der am Boden kniet – zwei Meter vor dem Mann, mitten im Gang.

Härteste Schwarzweiss-Kontraste, die Zentralperspektive des langen Flures saugt unseren Blick nach hinten, links davon, wie in einer Pause, schwarz hinterfangen, der Vater, der das tote Kind an sein Herz drückt.

Die Glieder des Kindes sehen aus wie die einer Puppe, einer Holzpuppe. Sie wirken steif, verdreht, der kleine Körper kaum vorhanden, sie ist fast nur ihr Kleidchen.

Zerrende Streicherklänge.

Nahaufnahme der beiden Gesichter, Bretz weint, Tränen laufen über sein Gesicht, tropfen, wir hören seinen leisen Atem, das Kind wie eine Puppe mit Glasaugen, das Gesichtchen liegt an seiner Brust, an dem weichen Pullover, den es nicht mehr spüren kann.

Beide Gesichter ganz dicht voreinander und trotzdem meilenweit voneinander entfernt.

Bretz ist nicht traurig, er ist nicht verzweifelt.

Er ist jenseits davon, – fertig, total fertig.

Die Schläfen, die Stirn,
die Augenhöhlen, diese Verlorenheit,
diese völlige Verlorenheit


ist mit dem Wort Trauer

nicht erfasst.

Das Gesicht ist jenseits aktiver Gefühlsäußerungen, es spiegelt eine seelische Ausgehöhltheit, die unbeschreibbar ist.

Das ist ein Herz, das sich selbst verloren hat.

Die Kamera fährt zurück, wir stehen wieder zwei Meter vor dieser Pietá.

Bretz lässt das Kind ganz langsam aus seinem Arm zu Boden sinken, der Leichnam gleitet herab, zusammen mit der nachlassenden Verkrampfung des Mannes. Die Beine des Kindes verdrehen sich dabei grotesk, es ist nur noch ein kleiner weisser Haufen Kleidung.

Wir blicken von schräg oben auf das tote Kind. Das Gesicht im Licht, es ist glatt wie das einer Schaufensterpuppe.

Die Kamera umfährt die beiden.

Wir müssen in toten Augen, den offenen Kindermund schauen.
Wir müssen von unten in das Männergesicht sehen, ganz dicht, wir müssen seinen Atem hören.

Dann eine gnädige Aufnahme von der Seite, der gebeugte Kopf von Volker Bretz.

Seine Hände nehmen dem Kind als Erinnerung vorsichtig das Halskettchen ab. Ein Schmetterlingsanhänger.

In der Rückblende die betretenen Gesichter des Ärzteteams. Sie stehen herum, scheinbar um die Szene.

Dann sieht uns Bretz in Nahaufnahme direkt in die Augen.

Jetzt ist sie bei den anderen . sagt er leise, nach innen gewandt.

Der Mann wird später im Film seine Frau im Speicher finden, Selbstmord. Er wird es selbst sein, der die tote Frau dort am Dachbalken hängen sieht.

Der Mann wird noch später im Film aus Versehen bei einem Kampfeinsatz zwei Kinder erschiessen, die sich in einem Schrank versteckt hatten. Er schiesst auf den Schrank, weil er dort eine Bewegung wahrgenommen hat, dann öffnet sich langsam die Schranktür und wir und er müssen die zwei erschossenen Kinder entdecken.

Sterben heisst sich trennen müssen.

1998-99 Heino Ferch – Volker Bretz

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Hören statt Lesen – Radio Comic statt Written Comic – hier entlang zur Audio.wma (Sprecher: ignazwrobel)

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Kommentar 1: Straight Shooter verkauft sich auf den ersten Blick als Action Film.

In Wirklichkeit ist es ist ein sehr kritischer Antikriegsfilm, der an der Figur des Fremdenlegionärs Volker Bretz und dessen Innenwelt zeigt, was Krieg mit der Psyche von Menschen und mit Kindern macht.

Es ist ein furchtbar ernster und trauriger Film, überlagert von Action Szenen und – leider besonders im ersten Teil – nicht sehr ansprechend gespielten Dialogen.

So kriegerisch Ferch in diesem Film aussehen mag, so sehr ist die Figur ein Plädoyer für Pazifismus.

Kommentar 2: „Straight Shooter“ bildet zusammen mit „Der Unhold“, „Deutschlandlied“ „Lucie Aubrac“, „Hunt for Justice“ „Ghetto“ „Julius Caesar „, „Der Untergang“ und in Grenzen auch „Die Luftbrücke“ eine Gruppe in Ferchs Lebenswerk: die der Antikriegsfilme. Die Figuren, die Ferch verkörpert, formulieren zwar auf sehr unterschiedliche Weise, aber in einer gemeinsamen klaren Aussage eine Botschaft: es sind Plädoyers gegen Krieg, für das Leben, besonders das von Kindern.

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