Filmszenen I …meinen Vater noch einmal sehen.. in: Und Jimmy ging…Teil 1A. Heino Ferch – Manuel Aranda. Regie: Carlo Rola 2007-08

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…meinen Vater noch einmal sehen.. in: Und Jimmy ging…Teil 1A. Heino Ferch – Manuel Aranda. Regie: Carlo Rola 2007-08. Director of photography: Frank Küpper. Musik: Georg Kleinebreillateinisches Kreuzzeichen,  Drehbuch: Jürgen Büscher

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Die Szene

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Leise Musik, eine klassische Konzertgitarre.

Ein langer Gang – nein:

Eine gigantische Enfilade aus Türrahmen, bei uns fast deckenhoch, dann scheinbar immer kleiner, sind sie perspektivisch hintereinander gestaffelt, saugen unseren Blick weit nach hinten.

Von der Seite strömt helles Nachmittagslicht ein und malt Zebrastreifen aus Licht und Schatten auf den Boden. Die hellen Streifen senden indirektes Licht samtig, weich, auf die Seitenwangen von zehn, fünfzehn, zwanzig wie Kulissen hintereinander gestaffelten Stirnwänden beiderseits der Türausschnitte.

In großen Gefächern stehen dort weisse Urnen, Totengefäße, im Wechsel mit kleinen Marmortafeln, die Namen und Lebensdaten der Verstorbenen verzeichnen. Es müssen hunderte sein.

Und Jimmy ging zum Regenbogen Director of photography: Frank Küpper. Bildquelle und alle Bildrechte bei ZDF und Moovie.

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Nah bei uns im ersten Urnenraum kniet eine Klosterfrau in Schleier und schwarzem Habit und ordnet Grabblumen vor einer Urne. Wir kommen näher, sie steht auf, geht weg.

Ganz hinten am Ende der Enfilade biegt jetzt ein Mann in den Korridor ein. Heller Trenchcoat, dunkle Beinkleider. Er kommt auf uns zu. Auch wir nähern uns ihm von Raum zu Raum.

Schnitt. Die Schritte des Mannes ganz nah, flach über dem Boden. Die Spitzen seiner bestickten Gaucho-Lederstiefel holen im Schritt so dicht gegen uns aus, dass wir beinahe zurückzucken.

Schnitt. Wir im Rücken des Mannes.

Wir sehen über seine Schulter hinweg in die Tiefe des langen Enfilade-Korridors. Unser Blick fällt auf den Ärmel seines Mantels. Ein schwarzer Trauerflor zeigt, dass der Mann einen kürzlich verstorbenen Verwandten zu beklagen hat.

Very Close Up die Augen des Mannes. Eine schwarze vollkommen geschlossene Sonnenbrille verweigert uns nähere Auskunft.

Im Halbschatten erhaschen wir jetzt einen kurzen Blick auf sein Gesicht. Er dürfte um die Vierzig sein. Kurzes helles Haar, Koteletten, eine markante kleine Zornesfalte steigt zwischen den Brauen empor, er wirkt verschlossen, aber wir sehen auch in diesen wenigen Sekundenbruchteilen das Gesicht eines Mannes, der erfahren, willensstark und — interessant zu sein scheint.

Die schwarzen Gläser der Brille verweigern unserer Neugier auch jetzt, von vorn, den Blick in seine Augen.

Der Mann dreht ein wenig den Kopf, blickt nach draussen und hat den Korridor mit zwei Schritten verlassen.

Schnitt. Dunkelheit.

Ein quadratisches Plattenmuster hebt sich aus der Lichtlosigkeit. Erst, als wir den Scheitel unseres Mannes sehen, begreifen wir, dass wir von steil oben auf einen Boden aus großen Steinplatten hinunterblicken.

Aus unserer hohen Position verfolgen wir den Mann, unsere Vogelperspektive vergrößert den Abstand zwischen ihm und uns, Kirchenbänke, weisse Blumendekoration kommt ins Bild. Wir verstehen: Wir sind in einer Kirche.

Die Blumen dekorieren verschlossene Särge.

Wie aus hoher Emporenposition beobachten wir, wie unser Mann nahe der Kirchenapsis vor dem letzen Sarg stehen bleibt, die Brille abnimmt. Offensichtlich hat er den Toten gefunden, den er betrauert. Er scheint inne-, Andacht halten zu wollen, da wird er fast sofort von einem älteren Mann, wohl dem Mesmer, gestört, der aus der Sakristei gekommen sein muss.

Suchen Sie etwas Bestimmtes ? fragt der Mesmer.

Unser Mann wendet sich halb dem Mesmer zu:

Mein Name ist Aranda. …

Manuel Aranda.

Die Stimme,  dominant, dunkel und markant, bestätigt unseren ersten Eindruck. Und doch – war da nicht auch eine leise Rauhigkeit, wie sie eine Stimme zu entwickeln tendiert, wenn sich die Person nicht ganz aus ferner Trauer befreien konnte.

Der Mesmer:

Angehöriger?

Manuel:

Der Sohn.

Der Mesmer:

Eigentlich haben wir ja jetzt Mittag. Wenn Sie mir in mein Büro folgen würden…?

Die Formalitäten. Sie verstehen?

Er wendet sich zum Gehen. Manuel soll ihm folgen.

Manuel verweilt noch einen Moment bei seinem toten Vater. Wir sehen, wie er seine Hand auf den geschlossenen Sarg legt, eine letzte Berührung.

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2007-08 Heino Ferch (im Alter von 44) – der argentinische Chirurg Manuel Aranda, Sohn des ermordeten Chemikers Rodolpho Aranda; Dennenesch Zoudé – die LKA-Kommissarin Irene Waldeck, Enkelin von Valerie Steinfeld, der Mörderin

Kommentar 1:

Warum spielt HF einen Argentinier? Dennenesch Zoudé beantwortet die Frage im Frühstücksmagazin Volle Kanne. Kurzform: HF ist Polospieler. (Heute ist das Heimatland des Polo Argentinien. Poloponies werden in Argentinien gezüchtet und angeritten. Schon Kinder lernen dort mit einem kurzen Mallet, einem „Walking Stick“ den Ballabschlag.) HF und MJ sind wegen des Polospieles oft in Argentinien HF kennt das Land, so DZ, ganz gut – die Rolle eines Argentiniers liegt da also nahe.

Kommentar 2:

Ein ganz besonderes Vergnügen für Ferchfilm-Aficionados ist die Erwartung der schauspielerischen Kreation der Persönlichkeit der Figur über deren Stimme.
HF macht sich – wie alle sehr guten Schauspieler – die Mühe, die Figur nicht nur visuell, sondern auch stimmlich unverwechselbar zu gestalten.
Wir, von filmszenen, haben zuerst den Anteil gehört, der der Figur Vercingetorix nahesteht, aber Manuel spricht weniger hart, sanfter. Sanft, ohne Weichlichkeit, die Rauhigkeit der Stimme gehört – u.E. – wohl ein bisschen zu der kleinen Al Pacino Colonel Slade Hommage, die die Tango – Szene sicherlich ist (in beiden Tango-Szenen sind die Schlußfiguren identisch).  Listen to Al Pacino´s Voice in „Scent of a Woman“ – hören Sie neben der lebhaften Modulation auch die – geradezu identische Rauhigkeit „hinten“ , sozusagen in der Basisnote der Stimme? Al Pacino in „Scent of a woman“->

Kommentar 2A: Manuel Aranda durchschreitet in diesem Establishing Shot eine Urnenhalle, ein Columbarium. In Columbarien wird die Asche von Menschen zum Gedenken an sie aufbewahrt. Asche von 6 Millionen Menschen entstand im Dritten Reich, wo u.a. in den KZs von Auschwitz und Majdanek, Buchenwald und Dachau Hunderttausende von Menschen industriell ermordet und verbrannt wurden. Dieser Shot ist als Allusion an diese Asche lesbar, da der Film sich anschließend mit der Schuld an industriell durchgeführten Ermordungen beschäftigt.

Kommentar 3:

Ähnlichkeiten in des dramaturgischen Konzepts mit dem Film „Der Tod kam als Freund“ und Szenen, in deren Subtext-Struktur oder Sprache wir kleine „Grüße“ an verschiedene Empfänger – nein uns nicht – hineingewoben sehen, lassen uns eine non credited Co – Autorschaft oder Überarbeitung behaupten.

Ein Beispiel? O.k. Im Original von 1971 ist die Szene, die wir nächstes Mal beschreiben, eine Szene zwischen einem Dialekt sprechenden Wiener Original und dem Protagonisten. Gemütlichkeit trifft auf Dramatik. Die Version von 2008 entfernt Lokalkolorit und lustige Pointe (Pöhms – Poems) und ersetzt die Frau durch den Chef des Leichenostentatoriums, einer verchristlichten Version eines Leichenschauhauses.

In beiden Fällen möchte Manuel Aranda seinen toten Vater noch einmal sehen. 1971 wehrt die Mitarbeiterin des Leichenschauhauses in der Säggasse entsetzt ab: ihr Herr Vater wurde doch … obduziert…!! In der Version 2008 sagt der Leichenschauhaus-Chef (also der Kirchenbedienstete) in kühlem und sachlichem Ton Der Sarg ist bereits luftdicht verschlossen. Das ist Vorschrift bei Flugzeug- Überführungen. Die Jodie Foster-Fans lauschen bereits auf, die Christian Berkel Fans sicher auch. Das ist die Eröffnungsszene von Flightplan. Der Leichenschauhaus-Chef in Flightplan (s. Min 1:37), der hier eine erste kurze, aber äußerst einprägsame Rolle in einer Hollywood-Produktion hatte. ist ein Deutscher Qualitäts-Schauspieler und – Freund unseres Hauptdarstellers, Wenn das kein Grüßle ist….

Noch ein Beispiel? o.k. Der Film benutzt einen bestimmten Sprachstil, der wie ein Claim abgesteckt ist. Bestimmte Formulierungen, Grammatik, Rhythmus, kurz, ein bestimmtes semantisches Feld kennzeichnen den Sprachstil so klar, wie eine bestimmte Instrumentierung ein Musikstück coloriert. Mitten in diesem semantischen Mais-Feld blüht plötzlich eine kleines Unkraut, rot, blau, Klatschmohn, Kornblume. Wo? Als Aranda Irene in einer nostalgischen Aufwallung vorschlägt mit ihm nach Hause, ans Meer, zu kommen, durchbricht er den bisher erwachsenen Sprachduktus und sagt kindlich emotional: „..nicht nein sagen..“. Irene antwortet in einem ganz auffällig besonderen absichtvoll ein nicht Begreifen imitierenden Humor: „..Nicht nein….“ Dieser kurze Dialog ist unserer Behauptung nach ein Gruss. Ein nostalgischer Gruss in die Vergangenheit. Ähnllich: versteckte Zärtlichkeit hinter scheinbarer Kritik: Hör auf, mich so anzusehen – Deine Augen sehen schon ganz verbraucht aus.Der Stil benutzt Schnodderigkeit um Zärtlichkeit auszudrücken. z.B. 3: Die Indios (die Manuel wichtig sind) schenkten ihm einen Talisman. Er schenkt den Talisman Irene mit der Bemerkung, die Indios sagten,  er solle den Talisman immer bei sich tragen. Klartext: Sie muss jetzt immer bei ihm bleiben, denn sie ist jetzt die Trägerin des Talisman. Eine hinter einer scheinbar belanglosen Nebenbemerkung versteckte Liebeserklärung.

28.9.2008

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Semi offtopic. Interview mit Jürgen Todenhöfer über Krieg und Friedensarbeit in EinszuEins der Talk auf Bayern 2 Audiodatei->

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