Filmszenen I ..wie wär´s mit einem kühnen Ritt? ..in: Kasimir und Karoline. Teil 2. Heino Ferch – Kasimir. (?) Autor: Ödön von Horváth, 1932

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Ort: das Oktoberfest in München, ca. 1929.

Vor der Szene

Der junge Kasimir, ein Chauffeur und Kraftwagenfahrer, möchte halt gar so gern geliebt werden von seiner Karoline.

Das Fräulein Karoline, eine Bürokraft, war sogar verlobt mit ihm. Aber jetzt, in der Wirtschaftskrise, hat der Kasimir seine Arbeit verloren, gestern.

Er gibt sich dermassen sperrig, dass seine Karoline verschnupft ist und ihn stehen lässt. Mit der ehelichen Absicherung siehts ja nun jetzt ehrlich gesagt wirklich nicht mehr so rosig aus – mit einem Arbeitslosen…

Jetzt ist Karoline, das Lämmchen,  frei für die Wölfe. Die nähern sich. Da ist der ruhige Antialkoholiker Schürzinger, ein Zuschneider aus der Kinderkonfektion, da ist auch der Kommerzienrat Rauch, der Chef von Schürzinger und der Richter Speer.

Kasimir unterhält sich inzwischen mit dem Merkl Franz, einem brutalen Grobian auf der schiefen Bahn, schön länger arbeitslos. Der prügelt seine Erna und misshandelt sie. Weshalb sie nur noch fester an ihm klebt.

Die Szene.

(69. Szene und Szene 72.  bis 77.) zitiert nach Das Gutenberg-Projekt auf Spiegel-online.de->

69. Szene

Kasimir hält nun eine Rede an die ferne Karoline:

Fräulein Karoline. Du mußt keineswegs hergehen, weil es halt jetzt ganz aus ist mit unseren Beziehungen, auch mit den menschlichen. Du kannst ja auch nichts dafür, dafür kann ja nur meine Arbeitslosigkeit etwas und das ist nur logisch, du Schlampen du elendiger! Aber wenn ich jetzt dem Merkl Franz folgen täte, dann wärest aber nur du daran schuld – weil ich jetzt innerlich leer bin. Du hast in mir drinnen gewohnt und bist aber seit heute ausgezogen aus   mir – und jetzt stehe ich da wie das Rohr im Winde und kann mich nirgends anhalten –

Er setzt sich.

73. Szene

Bildquelle und Bildrechte Kahunalblog.de

Neuer Schauplatz: Im Hippodrom.

Rauch, Speer, Karoline und Schürzinger betreten es.

74. Szene

Rauch zu Karoline: Na wie wärs mit einem kühnen Ritt? Wir sind doch hier im Hippodrom!

Karoline Fein! Aber nur keinen Damensattel – von wegen dem festeren Halt.

Rauch Schneidig!

Speer Das Fräulein denkt kavalleristisch.

Karoline Wenn ich einmal reit, möcht ich aber gleich zweimal reiten –

Rauch Auch dreimal!

Karoline Fein! Ab in die Manege.

75. Szene

Speer ruft ihr nach: Auch viermal!

Rauch

Auch ixmal!

Bildquelle und Bildrechte hippodrom-oktoberfest.de

Er setzt sich mit Speer an ein Tischchen auf der Estrade und läßt Flaschenwein auffahren. Schürzinger bleibt aber drunten stehen und stiert Karoline ständig nach; jetzt wird ein altes lahmes Pferd mit einem Damensattel, in dem ein zehnjähriges kurzsichtiges Mädchen sitzt, an der Estrade vorbei in die Manege geführt – gleich darauf ertönt Musik, die wo dann immer wieder mitten im Takt abbricht, wenn nämlich einige Runden vorbei sind und man neu bezahlen muß; auch Peitschengeknalle ist zu vernehmen; Schürzinger stellt sich auf einen Stuhl, um besser zusehen zu können; auch Rauch und Speer sehen natürlich zu.

76. Szene

Rauch Wacker! Prima!

Speer Eine Amazone!

Rauch Ein Talent! Da wackelt der Balkon! Radfahrende Mädchen erinnern von hinten an schwimmende Enten.

Speer wendet sich wieder dem Flaschenwein zu: Mensch Rauch! Wie lange habe ich keinen Gaul mehr unter mir gehabt!

Rauch Tatsächlich?

Speer 1912 – da konnt ich mir noch zwei Pferde halten. Aber heute? Ein armer Richter. Wo sind die Zeiten! Das waren zwei Araber. Stuten. Rosalinde und Yvonne.

Rauch hat sich nun auch wieder dem Flaschenwein zugewandt: Du hast doch auch spät geheiratet?

Speer Immer noch früh genug.

Rauch Das sowieso. Er erhebt sein Glas. Spezielles!

Stille.

Ich hab mein Weib nach Arosa und überallhin – der Junge ist ja kerngesund.

Speer Wann macht er denn seinen Doktor?

Rauch Nächstes Semester. Wir werden alt.

Stille.

Speer Ich bin schon zweimal Großpapa. Es bleibt immer etwas von einem zurück. Ein Körnchen.

77. Szene

Karoline erscheint nun wieder und möchte an dem Schürzinger vorbei, der noch immer auf dem Stuhle steht.

Schürzinger gedämpft: Halt! In deinem Interesse.

Karoline Auweh.

Schürzinger Wieso auweh?

Karoline Weil wenn ein Mann so anfangt, dann hat er Hintergedanken.

Schürzinger steigt langsam vom Stuhl herab und tritt dicht an Karoline heran:

Ich habe keine Hintergedanken. Ich bin jetzt nämlich wieder etwas nüchterner geworden. Bitte trinke keinen Alkohol mehr.

Karoline Nein. Heut trink ich was ich will.

Schürzinger Du kannst es dir nicht ausmalen in deiner Phantasie, was die beiden Herrschaften dort über dich reden.

Karoline Was reden sie denn über mich?

Schürzinger Sie möchten dich betrunken machen.

Karoline Oh ich vertrag viel.

Stille.

Schürzinger Und dann sagt er es ganz offen heraus, der Herr Kommerzienrat.

Karoline Was?

Schürzinger Daß er dich haben möchte. Erotisch. Noch heute Nacht.

Stille.

Karoline So. Also haben möchte er mich –

Schürzinger Er sagt es vor mir, als wäre ich ein Nichts. So etwas ist doch keine Gesellschaft für dich. Das ist doch unter deiner Würde. Komm, empfehlen wir uns jetzt auf französisch –

Karoline Wohin?

Stille.

Schürzinger Wir können auch noch einen Tee trinken. Vielleicht bei mir.

Stille.

Karoline Du bist auch nur ein Egoist. Akkurat der Herr Kasimir.

Schürzinger Jetzt sprichst du spanisch.

Karoline Jawohl, Herr Kasimir.

Schürzinger Ich heiße Eugen.

Karoline Und ich heiße Karoline.

Stille.

Schürzinger Ich bin nämlich ein schüchterner Mensch. Und zuvor bei den Abnormitäten, da habe ich über eine gemeinsame Zukunft geträumt. Aber das war eben nur eine momentane Laune von einem gewissen Fräulein Karoline.

Karoline Jawohl, Herr Eugen.

Schürzinger Oft verschwendet man seine Gefühle –

Karoline Menschen ohne Gefühl haben es viel leichter im Leben.

Sie läßt ihn stehen und wendet sich der Estrade zu; Schürzinger setzt sich nun auf den Stuhl.

Heino Ferch (im Alter von 29) – Kasimir (ungesichert), NN. – Karoline.

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Kommentar 1:

Monolog Kasimir s.a. Grüne Wüste Monolog Simon abends vor dem Haus von Doris und Detlef: Sit. großer Verlust Arbeitsplatzverlust bei Kasimir, Partnerverlust bei Simon, Abwenden der Frau in der aktuellen Beziehung: Kasimir: Karoline, Simon: Doris. Klage über Verlust ähnlich mit Schwächeanfall und Zornausbruch. Kasimir: Schlampen Simon: zünd´Euch die Bude überm Kopf…

Kommentar 2:

Die Urform eines Karussells – man denke an die Karussell-Pferde – ist die Manege des Zirkus, des Hippodrom. s.a. Das Rilke – Gedicht Das Karussell-> Vortrag: HF.

semi-offtopic:

Tradition ist Tradition. Unser Hauptdarsteller beim alljährlichen Oktoberfestbesuch – natürlich im Hippodrom – wo sonst?

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