Evolutionsästhetik und Architektur: Farbigkeit des Innenraumes

westrose-01Evolutionsästhetik und Architektur: Farbigkeit des Innenraumes

Die Innenwände der Romanischen Kirche waren vollständig bemalt, kein Zentimeter der Innenwand war von Farbe, von farblicher Darstellung, von narrativen und repräsentativen Darstellungen von Geschichten und Personen frei, es gab keine „rohe Wand“.

Die gotische Kathedrale intensiviert die Mittel, narrativ mit Farben zu erzählen: aus der bemalten Wand wird die farbig leuchtende Wand: das gotische Kirchenfenster.

Addiert man die Bemalung der Innenstruktur einer gotischen Kathedrale mit den leuchtenden farbigen figürlichen Erzählungen der bunt leuchtenden Flächen, sieht man einen Wald (die Bündelpfeiler alludieren auf die Baumstämme) mit sich verschränkenden Ästen (die Netz- Schlingen- und Kreuzgratgewölbe alludieren auf die sich verschränkenden Äste beim Blick unter das Blätterdach vom Standpunkt des Waldbewohners aus. ) und mit  Blattwerk. Das Blattwerk war mit großer Kunstfertigkeit über das gesamte Gewölbe mit malerischen Mitteln verteilt.

Dieser Wald aus Stein ist dunkel, in geheimnisvolles Halblicht getaucht, links und rechts leuchten die bunten Erzählungen aus der Bibel, leuchten die Figuren der Heiligen, überzeugender kann eine Erzählung – ohne die modernen Mittel der artifiziellen Beleuchtung mittels Neonröhren und Strom – nicht ins Bild gesetzt werden.

Leuchtende Bilderzählungen – für den mittelalterlichen Menschen an ein Wunder grenzend, die Malfarbe der in der romanischen Kirche verwandten Bilderzählungen gesteigert zu leuchtender Malfarbe – unter Verwendung von Glas und Tageslicht.

Man kann davon ausgehen, dass dies die Wahrnehmung des mittelalterlichen Menschen war. Er betrat das Gotteshaus –und war überwältigt. Sicher stellte der Gläubige nicht die Frage nach Glas, Verbleiung, Statik, Wand oder Fenster, oder ähnliche architekturbezogen technische Fragen – er stand einfach atemlos vor den leuchtenden Erzählungen. Buntes durchleuchtetes Glas, halbdunkler Kirchenraum – ein Theatertrick des Mittelalters.

Betrachtet man die gotischen Kanzeln und/oder Tabernakelhäuschen mit ihrem Sprengwerk, das bis genau unter den Scheitel des Gewölbes reicht und wachsende Pflanzen darstellt genau, so kann man noch heute sehen, dass diese Kunstwerke zur Zeit ihrer Entstehung vollständig farbig bemalt waren, auch mit vergoldeten Akzenten. Die Farben dienten der Verlebendigung der dargestellten Formen, der farblichen Verlebendigung des formal Erzählten.

Evolutionsästhetisch gesehen gibt und gab es in der Natur keine grauen lebenden pflanzlichen Objekte, die lebend, wachsend und gesund waren. Das heißt, eine pflanzliche Darstellung aus Stein gehauen ist erst fertig, wenn die Farbe ihr „Leben“ eingehaucht hat.

Die Akzeptanz steingrauer Ornamentik ist nicht evolutionsästhetisch begründbar, sondern nur aus allerjüngsten Kunsttheoretischen Abhandlungen, die auf archäologischen Funden beruhen. Diese Funde waren natürlich nach Jahrtausenden ihrer Farben beraubt, wir stießen und stoßen auf die „Rohbauten“.

Ein Missverständnis der Klassik des 18. – 19. Jahrhunderts führte zur ästhetischen Hochbewertung grauer, steinfarbener, farbloser figürlicher Darstellung und farbloser Darstellung dreidimensionaler Ornamentik.

Ein weiteres Missverständnis ist auf die Episode der „Neuen Sachlichkeit“, des „Bauhauses“ und der modernen Architektur zu beklagen. Die moderne Architektur nach Bauhaus betrachtet Ornament als „Verbrechen“ – aus soziokulturellen Gründen heraus, die heute längst in Vergessenheit geraten sind.

Folge dieser neuen Sachlichkeit, gepaart mit dem Missverständnis der Farblosigkeit von griechisch-römischen Architekturornamenten ist, dass historische Fassaden mit reicher Ornamentik durchgehend, Grund und Ornament, mit ein- und derselben Wandfarbe gestrichen werden. (z.B.: Stachusrondell)

Da in der Natur jedes pflanzliche Element, das der Kunst als Vorbild diente und dient, grundsätzlich sich hell und farbig, heller und farbig vom dahinter liegenden dunkleren Grund abhebt, empfinden wir florale Ornamentik evolutionsästhetisch begründet als „schön“, wenn sich diese deutlich sichtbar als eigene, der Wand verbundene „Objekte“ , zu Ornamenten gebündelte Objekte von der Wand durch eigene, hellere Farbigkeit abheben und so etwas zeigen, was in uns evolutionsästhetisch verankert ist:

blühende wachsende Pflanzen haben eine ganz bestimmte Farbigkeit und Farbstärke. Werden nun blühende Pflanzen und reife Früchte mit blassen Farben oder mit gar keinen Farben verbunden, sagt uns unser evolutionsästhetisch verankerter Sinn: falsch. Blasse oder sehr helle Farben gehören weder zum Blühenden, noch zum reifen Zustand von Flora.

Darüber hinaus kommen in der Natur florale Elemente wie Blüten, Knospen, Früchte niemals in derselben Farbe wie ihr Hintergrund vor. Es gibt nur einen einzigen Fall, in dem ornamentale florale Objekte und Untergrund ein- und dieselbe Farbe haben: wenn es in der Natur um Tarnung geht. Das Objekt imitiert die Farbe des Um- und Hintergrundes um NICHT gesehen zu werden.

Unser in Jahrhunderttausenden evolutionsästhetisch geformter Sinn für „schön, weil lebend und gesund“ sieht in den einfarbig überstrichenen ornamentierten Fassaden florales Ornament und Grund in derselben Farbigkeit , bzw. Nicht- Farbigkeit und empfindet dies als „nicht stimmig“. Die Ornamente versuchen sozusagen durch Gleichfarbigkeit mit dem Hintergrund eine Mimese. Das wiederspricht diametral dem Sinn von Ornamentik, insbesondere von floraler Ornamentik. Blüten und Früchte in der Natur sind stark farbig, um gesehen zu werden, nicht um sich mimetisch mit dem Hintergrund zur Unsichtbarkeit zu verschmelzen.

Folglich empfinden wir die stuckornamentierte Fassade mit wandfarbig übermalten Ornamenten als eine Fassade, die eine Art Krankheit wie Pusteln oder Pocken, hat. Das Ornament kann mimetisch übermalt seine Aufgabe nicht mehr erfüllen.

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Bleiche Farbigkeit: immer häufiger findet man heute, im 21. Jahrhundert, Innenräume des 18. und 17. Jahrhunderts, also des Barock und Rokoko von unkundigen Restauratoren in bleichen Pastelltönen gefasst, die den Innenraum fast wie einen Rohbau und die Decken- und Ölgemälde wie dunkle Schmutzflecken in bleich-heller Umgebung erscheinen lassen.

Traurige Beispiele hierfür sind die Kirche St. Michael in Berg am Laim von Johann Michael Fischer und die Dreifaltigkeitskirche Nähe Pacellistrasse. Warum empfinden wir die helle, durch Dispersonsfarben zusätzlich stumpfe Farbigkeit dieser Innenräume als nicht richtig in der Farbigkeit?

Das Argument der Restauratoren ist die Liebe des Rokoko zu hellen „jubelnden“ Farben, diese Argument in toto angewandt führt immer mehr weg vom Verständnis des ursprünglich Auszudrückenden. Florale Ornamentik im Innenraum stellt Blüte und Reife dar, beide Wachstumstzustände sind mit kräftigen Farben in der Natur gekoppelt. Unser evolutionsästhetisch geformter Blick kann – unbewußt – die bleiche Farbigkeit, die hinwelken oder Unreife verkörpert nicht mit dem Wachstumszustand der dargestellten floralen Ornamentik in regelrechten Zusammenhang bringen. –

Ein unbestimmtes Gefühl von „hier stimmt was nicht“ stellt sich ein. Zusätzlich bildet die stumpfe Oberflächenverfasstheit mit dem „Schlucken“ von Licht, erzeugt von der Struktur der Dispersionsfarbe, eine weitere Inkongruenz zwischen dem Reifezustand der dargestellten Flora und der Stumpfheit der Oberflächen. Stumpf sind Oberflächen von Pflanzen kurz vor dem Absterben.

Nur noch wenige, sehr wenige Kirchen im Süddeutschen Raum sind den Restaurierungsbemühungen der letzten dreissig bis vierzig Jahre „entkommen“ und zeigen uns die „richtige“, vom zeitgenössischen Wandmaler und Fassmaler ins Bild gesetzte Farbigkeit. Wir sehen hier: die Farben waren, der sommerlichen Jahreszeit von Blüte und Reife entsprechend, wesentlich stärker und dunkler.

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Evolutionsästhetisch war die Notwendigkeit, Ornamentik entsprechend ihrem Reifezustand in der Natur farbig zu fassen, eine so große Selbstverständlichkeit, dass hierzu m.E. kaum oder keine Fachliteratur existiert. Das Sein in der Natur, die Farben der Natur waren Basis und unabgesprochene Selbstverständlichkeit der künstlerischen Darstellung, des künstlerisch erhöhten Arbeitens, selbstverständlich nach der Natur.

Zu Kirchen mit originaler Farbigkeit  gehören die Dominikanerinnenkirche in Landsberg am Lech. Mögen die Nonnen noch lange keine finanziellen Mittel haben, den Kirchenraum mit Dispersionsfarben „restaurieren“ zu lassen!

 

Andrea-Maria Glaser M.A.

München, den 3. November 2019

 

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