Evolutionäre Ästhetik und Architektur: Gebäudefassaden, artifizierte Natur

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Wie bereits erwähnt, wirken Fassaden, deren Gliederung langgestreckte Horizontalen bei stark kontrastierter Optik von Dunkel und Hell bevorzugen, spontan repulsiv, setzt sich der Mensch realiter mit dem Objekt Gebäude in Beziehung.

Beispiel.: BR-Hochhaus https://images.app.goo.gl/uLWVQXGjqqkKsQFH7

Der repulsive Effekt benötigt die Beziehung des Subjekts Mensch mit dem Objekt Gebäude in der Realität, Abbildungen, die das Gebäude auf handliche Masse verkleinern, können den repulsiven Effekt nicht aufrufen.

Blickt man zurück auf die Jahrhunderttausende, die evolutionsbedingt das ästhetische Grundvokabular des Homo erectus /homo sapiens sapiens ausbildeten, blickt man zurück auf eine Umgebung, die vor allem durch Wälder, Urwälder, geprägt war. Die Rodung größerer Flächen zum Anbau von Getreide geschah, evolutionsgeschichtlich betrachtet, erst vor kurzer Zeit (vor ca. 1,5 – 2 K Jahren). Das heißt, Strukturen, die der Wald visuell anbietet, verankerten sich evolutionsästhetisch entweder tatsächlich in der DNS oder in ältesten Hirnregionen des Menschen.

Hier fällt vor allem eines auf: der Wald ist beherrscht von Strukturen, die variantenreiche vertikale Reihungen zeigen.

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Und tatsächlich empfinden wir heute Hausfassaden, die durch vertikale Reihungen, z.B. hochformatige Fensterreihen geprägt sind, angenehmer als Hausfassaden, deren Optik durch horizontale Schichtung geprägt ist. https://images.app.goo.gl/y5d8xdgr9YjCXkCRA

 

Beispiele, die in besonders ausgeprägter Weise die evolutionsästhetisch bedingte Artifizierung von Naturformen zum Zwecke der ästhetischen Überhöhung von Gebrauchsgegenständen zeigt, sehen wir in historischen Perioden, die sich nicht aus soziologischen/gesellschaftlichen Gründen die Ästhetisierung von Gegenständen seiner Umgebung durch florale Ornamentik verbieten.

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Die obige Abbildung zeigt den frontalen Part einer königlichen Kutsche.

Unschwer ist zu erkennen, dass hier keineswegs eine Kutsche, also ein Nutzgefährt, zur Darstellung gekommen ist, sondern ein durch Goldfarbe ästhetisch überhöhtes Konglomerat von Pflanzen, bewohnt von Putten und Atlanten.

Sogar eine nähere Bestimmung dieser Pflanzenwelt ist möglich, es sind Pflanzen, die am Wasser vorkommen und in warmen Gebieten (Palmen). Der König, in der Kutsche, ist also ein Bewohner dieser Pflanzenwelt und bewegt sich in ihr und mit ihr.

Evolutionsästhetisch ist hier ein Höhepunkt in der Artifizierung von Natur-Umwelt erreicht.

Überdeutlich zeigt sich, dass wir, befreit von finanziellen oder theoretischen Restriktionen, geradezu mit Riesenschritten hin zur Pflanzen- /Naturwelt eilen und diese als ästhetische Quelle für artifizierende Gestaltung benutzen.

Blicken wir heute, in Zeiten der modernen Sachlichkeit, in Nach-Bauhaus-Zeiten,  in modern gestaltete Wohn- Innenraumumgebungen, erkennen wir intensive Bemühungen, die ästhetischen Gestaltungsprinzipien möglichst fern von Strukturen der Naturumgebung zu halten.

Der rechte Winkel dominiert.

Dennoch, sozusagen durch die Hintertür, schleicht sich die evolutionsästhetische Bedingtheit des Menschen, Natur in artifizierter Form in seiner Nähe haben zu wollen, haben zu müssen, in der Gestaltung von Kissen- oder Vorhangmustern, in der Gestaltung von Vasen oder Sitzkissen oder Couchgarnituren, wieder in unsere Umgebung ein.

 

Die modernen Naturvorbilder sind jedoch heute einer Welt entnommen, die in früheren Zeiten eher als repulsiv gewertet worden wäre.

Schleimgebilde, Blasengebilde, Strukturen von Schwämmen Pilzen und Moosen, ins megalomanische vergrößert, in Farben von Mooren und Sümpfen „schmücken“ unsere modernen Wohnumgebungen.

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Abb.: Teppich mit Musterung, die an Samenstände von Birkenbäumen erinnert oder an Konglomerate von Würmern auf Asphaltboden

Andrea-Maria Glaser M.A. 8. November 2019

Alle Abbildungen der wissenschaftl. Artikel „Evolutionsästhetik und Architektur“ sind nach § 51 UrhRG Belege für Thesen der wissenschaftl. Abhandlung und somit zitatfrei.

 

 

 

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