Filmszenen I „O lieb, solang du lieben kannst. Teil A -Carl von Seidlitz – Heino Ferch, Regie Josef Vilsmaier, 2001

Josef Vilsmaier. Heino Ferch - Carl von Seidlitz

„O lieb, solang du lieben kannst. Teil A – Die Stunde kommt, die Stunde kommt ….“ aus dem Film Marlene. Carl von Seidlitz – Heino Ferch, Regie Josef Vilsmaier, Drehbuch: Christian Pfannenschmidt perathon 2001

Bildquelle und alle Bildrechte bei perathon Filmproduktionsgesellschaft und Senator Film

Abschiedsszene zwischen Marlene Dietrich und ihrem geheimen Liebhaber Carl von Seidlitz

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Die Abschiedsszene steht in direktem Zusammenhang mit der Anfangsszene.

Vorher: Von Seidlitz hatte Marlene, die nachts zuvor in einem Nachtclub eine lesbische Gesangsnummer vorgetragen hatte, zudringlich kompromittiert.
Marlenes Reaktion hatte wiederum ihn beschämt. Es war ein kleiner ideenreicher Kampf gewesen – mit zwei Verlierern oder mit zwei Siegern.

Ankunft im Palast

Marlene und Frau von Seidlitz betreten das gewaltige schlossartige Entree, eine Halle mit offenem Kaminfeuer, Teppichen, Kunstgegenständen, Antiquitäten, des familieneigenen Palastes. Frau von Seidlitz ruft nach ihrem Bruder, um ihn mit Marlene bekannt zu machen

Carl von Seidlitz eilt die Treppe herunter, erblickt Marlene und weiss, dass er jetzt in einer peinlichen Situation ist.

Frau von Seidlitz macht bekannt.

mein Bruder

wir kennen uns

oh ja

wenn das kein Zufall ist

Er verbeugt sich und gibt Marlene einen formvollendeten Handkuss.

Als er sich aufrichtet, entschuldigt er sich und deutet mit einem kurz zu Boden schiessenden Blick eine weitere kleine Verbeugung an.

Ich möchte mich in aller Form für die Vorkommnisse dieser Nacht entschuldigen.

Lauter kleine höfliche Unterwerfungsgesten, getragen von seiner vorzüglichen Erziehung, die ganz offensichtlich mit den Gefühlen verletzten Stolzes einen harten Kampf ausfechten.

Ihr Bruder hat mir mal Nachhilfeunterricht gegeben. Ich hab ne Menge gelernt, wie war das nochmal mit der Reihenfolge? Lippen, Hals und dann die Brust oder wars…

Blick von Seidlitz zur Seite zu seiner Schwester, die Augäpfel blitzen weiss, – angenervt, prüfend, wie sie reagierten wird.

…oder wars zuerst die Brust und dann der Hals?

Die Schwester lacht übers ganze Gesicht

wie bitte?

…Meine Freundin liebt es, andere Menschen in Verlegenheit zu bringen…

…und ihr Bruder fühlt sich so frei bei jeder Gelegenheit Hand anzulegen. Marlene lächelt.

Ich werde sie nicht wieder belästigen.

Er ist immer noch echauffiert. Sein stahlblauer Blick schießt Blitze.
Er macht eine kleine beleidigte Geste mit dem Kopf.
Zeigt gleichzeitig vorbildlich aristokratisch steife Haltung.

Na gut, lenkt die Schwester, immer noch amüsiert , ein, wie wärs mit nem Kaffee?

Er behält Haltung, starke Energie ist spürbar, er ist anziehend in seiner Rage.

Von Seidlitz wirkt trotz der für ihn peinlichen Situation nicht beschämt oder klein, sondern sehr männlich, weil er in Haltung und Blick nicht nachgibt, nicht lächelt und Marlene beim Sprechen ganz offen ansieht, aber auch nicht ausfällig wird.

Er presst nur ein wenig, einen Hauch nur, den Kiefer zusammen, keine Verbissenheit, eher eine starke pfeilartig nach vorne drängende Energie.

Schnitt.

Marlene und von Seidlitz reiten gemeinsam, direkt im Anschluss an die Begegnung in der Eingangshalle aus. Man hat Frieden geschlossen.

Zwischenszene:

..solang ihm noch ein andres Herz….

Man kommt sich schnell näher undzwar über gemeinsame Leidenschaft für bestimmte Autoren, Kästner, Heine, Hölderlin Ferdinand von Freiligrath.

Carl zitiert launig:

Der Mensch ist gut,
da kann man gar nichts machen
in Lesebüchern schmeckt das wie Kompott,
der Mensch ist gut,
er hat es, wie man hört –
vom lieben Gott.

Ein Soldat, der Kästner mag!

Kein Gegensatz!

Carl von Seidlitz:

O lieb, solang du lieben kannst

o lieb, solang du lieben magst.

Die Stunde kommt, die Stunde kommt

wo du an Gräbern stehst und klagst.

Marlene fährt fort:

…und sorge, dass dein Herze glüht

und Liebe hegt und Liebe trägt

solang ihm noch

ein andres Herz

in Liebe warm entgegenschlägt.

Das legt den Rahmen der tiefen Hoffnungen und Sehnsüchte auf Nähe fest und synchronisiert die beiden. Sie können dasselbe Gedicht sofort auswendig rezitieren – Gleichklang der Seelen und Sehnsüchte.

Man rezitiert.
Man nimmt die Masken ab.
Man ist nur noch ein Selbst und ein Selbst.
Mensch und Mensch.

——–

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Kommentar/Theorie:

Settings und Topoi:

Filmsettings früherer und kleinerer Rollen bleiben präsent und finden sich in späteren Projekten wieder: das Setting von Schloß Königswald (1988) mit dem Motiv des Tradition repräsentierenden Schlosses wiederholt sich in dem Setting der Figur Seidlitz in „Marlene“ (2000). War der Darsteller in Schloß Königswald nur Gast (Gastrolle), ein Funker, der mit seinen Leuten unrechtmäßig in die historische Umgebung eindringt, so ist er als Carl von Seidlitz nun der Besitzer der Schloß-Königswald-artigen Umgebung.

León, der Fremdenlegionär, das vermuten wir schon vor der Veröffentlichung von „Schliemann“, zeigt deutlich Anklänge im Setting und einigen Handlungs-Motiven (Handlungsmotiv bei uns gebraucht im selben Sinn wie Musikalisches Motiv, also als kleine zusammenhängende Sinneinheit in der Filmhandlung.) an „Sands of Time“ (1998, frz. Titel: Der geheime Turm, „La tour secréte“ ): Die junge Nomadin Arielle (Adrielle), die León heiratet, ist eine folkloristisch gezeichnete blutjunge Einheimische und Sophia Engastromenos (Schliemann-Jagd-Troja 2007: deren äußere Eigenschaften kanonisch festgelegt sind: Folkloristisch Griechisch, schwarzhaarig, dunkler Teint.) vom äußeren her sehr ähnlich.

Das Setting einer von Archäologen gefundenen alten Stadt mit Tempel und Turm in der Wüste ist als Setting ähnlich wie in Schliemanns Troja-Auffindung. In beiden Fällen geht es unter die Erdoberfläche, in der historischen Troja-Auffindung spielt anfangs der Turm eine wichtige Rolle, ebenfalls in „Sands of Time“.

In „Sands of Time“ (1998) finden die Archäologen einen vertikalen Tunnel, einen Lift, der, das wird implizit angedeutet, in den religiös gedachten Himmel führt.
Am Schluß trägt einer die verstorbene Figur, einen Blutsverwandten, in den Lift und beide entschwinden nach oben. Ein Zurückgebliebener tröstet: „Jetzt sind sie bei den Anderen.“

In „Straight Shooter“ (1999) hält Volker Bretz sein totes -blutsverwandtes- Kind ebenfalls auf den Armen. Er, als hier Zurückgebliebener, tröstet sich mit den Worten: „Jetzt ist sie bei den Anderen.“


In einem frühen Projekt hatte der Darsteller sicherlich freie Auswahl, welchen Ausschnitt aus welchem Märchen er in „Das Baby der schwangeren Toten
(1994) vorlesen wollte. Vorgelesen wird: Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen. Die kleine Meerjungfrau, eine sehr junge Frau, ein Mädchen, aus einer „anderen Welt“, heißt Arielle. Sie möchte gerne den Erdling, den Prinzen, heiraten.

In „Sands of Time“ (1998) heißt Leóns junge Frau (die aus der „anderen Welt“ der Nomaden stammt), fast ein Mädchen noch, die er gefunden, gerettet und geheiratet hat: …Sie ahnen es schon – Adrielle.

In „Le Lion“ (2003) nimmt die Hauptfigur eine enge Beziehung zu einem Mädchen aus einer „anderen Welt“, der Welt der Natur und Tiere, auf und nimmt sie schlußendlich mit sich in seine Welt: in die große Stadt.- Happy Ending für Julien Keller, die Figur.

Prinzip: siehe „Die kleine Meerjungfrau“, siehe „Sands of Time“, siehe: „Auf der Jagd nach dem Schatz von Troja.“

Alle drei Frauenfiguren sind sehr jung, schwarzhaarig und von dunklem Teint.

Das, so könnte man weiter fabulieren, spiegelt eine lange (selbstredend ausschließlich im Unterbewußtsein schlummernde) Suche, eine Suche, die begann schon vor langer Zeit.

2004 nimmt der Darsteller, -er verlobt sich im selben Jahr (an einem Ort, der im Film als Motiv für das Liebespaar verwendet wird-), eine Rolle an in einem Film der heißt: „Vom Suchen und Finden der Liebe.“(2004)

2005 heiratet der Darsteller. – An einem Ort, der aussieht, wie das Bühnenbild zur in „Das Baby“ vorgelesenen Andersen-Märchenstelle.

Schön, nicht wahr? Wie das alles so schön zusammenpasst. Wie die bunten Steine eines Mosaikbildes.

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