Filmszenen I „..my life is finished…“ in: Ghetto. Teil 6. Heino Ferch als Jakob Gens. Germany Lithuania 2004-2006

„..my life is finished…“ in: Ghetto. Teil 6. Heino Ferch als Jakob Gens. Regie: Audrius Juzenas. Buch: Josuah Sobol. Germany Lithuania 2004-2006

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Nacht. Vollmondlicht. Vogelperspektive von schräg oben.

Ein Platzl am Rande des Ghettos, die Erde gestampft, welke Blätter bedecken den Boden. Rechts im Bild ist bereits die Mauer zu sehen, die das Ghetto zum Gefängnis macht.

Ein großer Baum steht auf dem Platzl, wir sehen seinen Stamm. Die Äste zeichnen schwarzblau wirre Schattenmuster auf den Boden, im Hintergrund die Büsche sind kahl, ein Mauerstück ragt ins Bild.

Der Stoffbär des kleinen Mädchens, das deportiert wurde, liegt da, verloren, vergessen, dem Kind entrissen. Es wird ihn nicht mehr brauchen in Majdanek.

Vor dem Baum eine Bodenerhebung, ein Hügel, ein kleiner Berg. Über dem Hügel, direkt am Stamm des Baumes, ist, kaum sichtbar, im Schatten, ein Mensch in die Knie gebrochen.

Die Kamera senkt sich, tiefer, fast auf Augenhöhe.

Der Wind treibt die Blätter über den Boden, sie rascheln, ein Geräusch wie rinnendes Wasser. Glockenschläge der Turmuhr – die erste Stunde nach Mitternacht.

Wir erkennen den Mann.

Es ist Gens.

Er zieht seine Dienstmütze ab, lässt sie zu Boden fallen, greift zum Pistolenhalfter, öffnet es. Er nimmt die Pistole und entsichert sie.

Schnitt Close up.

Jakob Gens hält sich die Waffe an die Schläfe.

Wir glauben, bereits den Knall zu hören, als er innehält.

Eine Frauenstimme.

Laut, alarmiert:

Jakob!!

Schnitt. Halbtotale.

Wir nehmen wieder unseren Standpunkt ein, so als blickten wir wie Nachbarn von erhöhtem Punkt auf das Platzl jenseits der Ghettomauer.

Eine Frau mittleren Alters, in Straßenkleidung, im Wintermantel, ist herbeigeeilt. Sie breitet die Arme aus.

Die Beiden nah

Die Frau kniet sich vor Gens. Gens blickt die Frau nicht an, er kann es gar nicht, er ist wie schwer betäubt. Er wirkt, wie von großer Schwäche ergriffen, von einem Druck, einem stummen übergroßen Schmerz, der ihm jede Fähigkeit zu denken raubt.

Jakob!! Haven´t enough jews been killed?

So yes! Kill another one by all means!

Gens hält immer noch die Pistole gegen seinen Kopf. Die Mündung des Laufes zielt auf seine Schläfe.
Er bewegt sich nicht, kaum, er schwankt leicht.
Vielleicht sieht er zu Boden.

Seine Augenhöhlen sind dunkel, das Mondlicht ist nicht stark genug, wir sehen nur die Spuren von dumpfem Schmerz auf der Licht-Schattengrenze der Augenbrauen.

Jetzt spricht, reagiert er.

My life…

..hören wir..

leise, kaum gesprochen, streichen die Worte mit dem Hauch des Ausatmens über die Lippen…

…is finished…

Die Frau nimmt Jakobs Gesicht in ihre Hände. Sie kniet noch immer vor ihm, blickt zu ihm hoch, in sein Gesicht.

Your life doesn´t belong to you any more!

Extrem eindringlich:

It´s connected to thousands of other lifes!

Gens reagiert nicht. Seine Stimme hat keinen Klang mehr, sie ist bestürzend entkräftet, ohne Willen, ohne Lebenswillen. Wir hören:

There is no future in the Ghetto…

Die Frau, am Rand der Tränen, aber immer noch mit extremer Eindringlichkeit – ihre Hände am Gesicht des Mannes versuchen, ihre Worte zu unterstützen, ihn aus seiner Agonie zu wecken.

You are condemned to live as long as you can to save more lifes!

Gens setzt an, zu schießen. Er holt Luft, presst Augen und Lippen zusammen, um sich gefühlstot zu machen.

Die Frau gibt nicht auf. Sie gibt einfach nicht auf. Sie wirft sich nach vorne und hält ihren Kopf fest an Gens Kopf gedrückt, mitten in den zu erwartenden Schusskanal.

Put away the gun! ruft sie, weinend.

Gens zittert.

Die Frau, wütend ergeben:

Then blow out our brains!!!

Close up Gens.

Seine Augen sind noch immer geschlossen. Die Frau hat seinen Kopf ganz in ihre Hände genommen, an sich gedrückt, hält ihn, wartet.

Der Sterbenswille im Gesicht des Mannes lässt nach. Hätte Tröstlichkeit einen Namen, wäre es der Name dieser mutigen Frau. Gens läßt die Pistole von seiner Schläfe sinken.

Die Frau gibt nach, sieht ihn an, hält weiter sein Gesicht fest.

Gens, noch immer mit geschlossenen Augen, flüstert. .

…the selection….

Die Frau.

…there is..

….there is no other choice….

Schnitt. Totale. Vogelperspektive.

Der Mann kniet nicht mehr allein dort im Hof. Eine wache Seele hat ihn rechtzeitig entdeckt und ist bei ihm.

Schnitt. Ende der Szene.

2004-2006 Heino Ferch – Jakob Gens, Sebastian Hülk – Kittel, Erika Maroszan – Die Sängerin Haya, Jörk Lamprecht – Dessler, Vytautas Sapranauskas – Weisskopf, die ganz exzellente Musik(dramaturige), die sehr viel zur eindrucksvollen Wirkung des Films beiträgt, ist von: Anatolijus Senderovas.

( s.a. 1989 „Wedding“. Szene Am Hallentor. Dort ist niemand, keine wirksame Hilfe ist bei dem Lebensmüden. Klaus stirbt. versus: Szene Ghetto 2004: Hier ist wirksame Hilfe bei dem Lebensmüden. Fatum, Caritas, eine Frau in gesetztem Alter, einer Mutter ähnlich verändert den Handlungsverlauf, biegt die fallende Gerade, die in den Tod führt, ab, hinauf zurück ins Leben.

siehe auch: Heino Ferch liest Texte aus dem AT und NT.
Psalter Vers 12 ff. :


12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.
13 Gewaltige Stiere haben mich umgeben, mächtige Büffel haben mich umringt.
14 Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe.
15 Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.
16 Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.
17 Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben.
18 Ich kann alle meine Knochen zählen; sie aber schauen zu und sehen auf mich herab.)


Quelle: bibel-online.de

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Kommentar 1

Die Passion (Mk 14,1 – 15,47)

Am Ölberg Audio.mp3

32 Sie kamen zu einem Grundstück, das Getsemaneh heißt, und er sagte zu seinen Jüngern: Setzt euch und wartet hier, während ich bete.
33 Und er nahm Petrus, Jakobus und Johannes mit sich. Da ergriff ihn Furcht und Angst,

34 und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht!

35 Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf die Erde nieder und betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe.

36 Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst (soll geschehen).

38 Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

41 Es ist genug. Die Stunde ist gekommen;

42 Steht auf, wir wollen gehen!

Audio.mp3 : Nel mezzo del cammin´di sua vita si ritrovó in una selva oscura che la diritta via era smarrita.

Dante, Diviana commedia: L´inferno.


Kommentar 1:

Bildikonographie der Szene :

Der einzelne Baum, der kleine Hügel und der Blickwinkel der Aufnahme, der Gens über dem Hügel knieend zeigt, als würde er „auf“ dem Hügel sein, der offene Erdboden und die (in Wirklichkeit im Ghetto verbotene) Flora deuten in nuce einen Garten und einen Hügel an: den Ölberg des Passionsgeschehens.


Gens´agony

The Agony in the Garden (Giovanni Bellini 1465) (-> der einzelne Baum,-> der Hügel)

Agony in the Garden II (->der Baum)

Gleichzeitig erinnert die Szenerie, das Setting, entfernt an einen dunklen Wald, eine Selva oscura, wie sie in Dante´s Divina Commedia, Kapitel: L´inferno vorkommt.

Kommentar 2:

Wer ist die Frau?

Unsere Interpretation der Identität dieser Frau weicht von den Meinungen der Tagesjournalisten ab. Einfachheitshalber wurde die Frau als „Frau Gens“ identifiziert oder als „Haya“. Weder die eine noch die andere kommen in Frage. Eine „Frau Gens“ wird im Spielverlauf an keiner Stelle angedeutet. Gens ist immer allein, ohne Familie. Haya ist es nicht, das ist leicht zu sehen.

Da um ein Uhr nachts im Ghetto Ausgehverbot besteht, kann es auch keine zufällig vorbeikommende Passantin sein. Es ist m.E. eine personifizierte abstrakte Entität.

Es ist „Fatum“- das Schicksal“ und es ist „Caritas“ – die Nächstenliebe.
Sie kommt aus dem Nichts, erinnert Gens an seine Pflicht und spendet ihm Trost.
Und sie verschwindet wieder im Nirgendwo. Sie kann es, da sie keine Person aus Fleisch und Blut sein soll, sondern eine Personifikation.

Kommentare Intellectual property of ignazwrobel


Kommentar 3

….und da war dann noch der Mann, che, nel mezzo del cammin di sua vita si trovó in una selva oscura (der, in der Mitte seines Lebenslaufes, sich wiederfand in einem dunklen Wald).

aus dem, so schien es ihm, ihn kein Weg führen wollte. Als er sich dort wiederfand, wo wir gerade Gens gefunden haben, hatte er sich nicht die Pistole an die Schläfe gehalten.

Vielleicht wollte er seine Frau und seine Tochter schonen. Die Walter war mit Mannstoppern geladen. Das wusste das Mädchen, seit sie klein war, sie wusste auch, was Mannstopper anrichten. Sie hatte ihren Vater, so lange sie denken konnte, immer mit dem Pistolenhalfter unter dem Jacket zur Arbeit gehen sehen. Ihr Vater war Kassierer.

Nein, er hatte schon das Seil über die Heizungsrohre gelegt und die Schlinge geknüpft. (s.a. straight shooter, Rückblende auf dem Dachboden)


Seine Frau fand ihn auf dem Stuhl stehend. Sie hat ihn gerettet. Schläge und Schreie haben ihn damals zurückgeholt.

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