Filmszenen I „….dann kanns ja nur noch bergauf gehen, was?“ Teil 1. Heino Ferch als Simon Lechner. in: Grüne Wüste 1999


Teaser Film Grüne Wüste

„….dann kanns ja nur noch bergauf gehen, was?“ Teil 1. Szene aus Grüne Wüste, Regie: Anno Saul, Drehbuch: Swenja Karsten, 1999

Bildquelle und Bildrechte bei: Lichtmeer Film/ZDF/arte

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Grüne Wüste. – im Krankenhaus.

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Das ist die Geschichte von Leuten, die sind wie wir, leben wie wir, Probleme haben wie wir, reden wie wir, und Katastrophe schleicht sich leise mitten drin unauffällig in den Alltag. Jemand wischt den Boden, Einer rührt im Kaffee und da drüben stirbt ein Kind.

Das passiert, eingemischt in lauter Alltagszeug. Man kocht, köpft ein Ei, hat einen Quickie zwischen Tür und Angel, Blümchentapete, enge Zimmer, abgearbeitete Büromöbel, Fanfotos an der Wand des Mädchenzimmers, man lebt in irgendwelchen Möbeln in irgendwelchen Wohnungen, die bedrückend wären, wenn man genau hinschauen würde.

Aber man ist alles so gewohnt.

Und Dialekt, man spricht bayerisch, schwäbisch, Normalwelt, zu Hause – nur Doris, Mutter, Ehefrau und Geliebte des Witwers Simon, dessen Sohn jetzt doch auch nach dem Krebstod seiner Ehefrau an Krebs erkrankt ist, ist unglaublich überirdisch schön.

Mitten in diesem Alltag mit seinen Alltagspflichten und Alltagsvorkommnissen webt sich die Katastrophe ein.

Szene:

Am Krankenbett des Sohnes.

Vor der Szene:

Wir stehen in einem dunklen Gang und sehen auf die Riffelglastüren, die den Eingang zur Abteilung abriegeln.

ONKOLOGIE lesen wir in Spiegelschrift. Draussen die Silhouetten von Simon und dem zwölfjährigen Mädchen, Katja, der Freundin von Simons krankem Sohn.

Wir sind im Dunklen, draussen ist Licht.

Stellvertretend für uns kommt ein von der Chemotherapie gezeichnetes Kind, das einen Infusionsständer vor sich herrollt, zur Tür, zieht an der Kette und die Türflügel öffnen sich, Licht strömt ein.

Es ist zehn vor drei am Nachmittag.

Der Mann und das Mädchen stehen an der Lichtschattengrenze. Die Beiden sehen dem kranken Knaben nach, der an ihnen vorbei geht.

Jeder, der schon einmal in so einer Krankenhausbesuchssituation war, wird spüren, wie, auch ohne konkrete Kenntnis irgendwelcher Fakten, hier in diesem Augenblick die Ahnung von Leid und Katastrophe mit Händen greifbar wird.

Die Szene: Am Krankenbett.

Simon besucht sein Kind im Krankenzimmer.

Er kommt von rechts an einer kalt schimmernden Metallplatte vorbei ins Zimmer, wir stehen hinter ihm, schauen an seinem Rücken vorbei.

Erste Orientierung, genau, wie das immer so ist bei Krankenbesuchen. Wo liegt mein Kind?

Wir sehen zuerst ein anderes Bett, eine Mutter mit einem anderen Kind. Simon schaut sich um, suchend.

Schnitt.

Nahaufnahme. Oszillogramm, Bettwäsche, Kissen, Zudecke, dazwischen ein Schädelchen, geschlossene Augen, ein Ohr. Die Haare bereits dezimiert durch die Chemo.

Die Kamera umfährt das Kind, wir bekommen einen Blick in sein Gesicht, bleich, dunkel eingefallene Augen, die Lippen blau verfärbt. Simon geht um das Bett herum.

Nahaufnahme Simon. Er trägt eine randlose Brille. Ein erster Blick auf sein Kind, er beugt sich vor, Sorge um seine Augen. Würde er weinen, wäre das mimisch kein Unterschied. Blickkontakt.

Er versucht sein Kind anzulächeln. Er probiert Optimismus.

Sein Ausdruck ist meterweit offen, die Augen rund und verletzlich, das zarte Lächeln liebevoll, ganz an der Oberfläche, direkt darunter, ein Millimeter unter der Haut, Besorgtheit, Unsicherheit, Angst.

Hey Johann!

Der Junge ist gut drauf, psychisch stabil, optimistisch. Er stützt den verunsicherten Mann.

Hey Papa!

Ironie: gut schaust du aus. Gegenironie ich fühl mich auch Spitze.

Simon dann kanns ja nur noch bergauf gehen, was?

Nahaufnahme Simon:

Was kann man sagen? Zuerst scheint da ein liebevolles angedeutetes Lächeln zu sein.
Lachfalten an der Augen, er blickt nach unten auf sein Kind. Dann ist da noch etwas, knapp unter der Fassade des freundlichen Blicks.
Es spielt sich eigentlich nur auf der einen Gesichtshälfte ab, da ist eine Trauer um die Schläfe, die Braue, sogar die Lachfalten wirken fast wie Stress, das Lächeln erfasst eigentlich nur einen Mundwinkel.
Diese Ahnung eines zweiten Ausdrucks sagt: Angst, brüllende Angst, die hinter der konventionellen Geste lauert.

Ein klackerndes Geräusch. Totale. Blau gekachelter Raum, eine zweite Metallplatte hinterfängt Simons Silhouette, Sauerstoffflasche im Vordergrund. Dem Nachbarkind ist ein Spielklötzchen zu Boden gefallen. Simon hebt das Klötzchen mit einer rasch herbeieilenden Bewegung, die alarmiert wirkt, auf.

Dann steht er unschlüssig am Bett, die Hände halb versteckt in den Hosentaschen.

Das Kind wird sterben. Unterbewusst ahnt der Mann das wohl schon in diesem Moment.

Der Tod wird am Ende des Films übers Telefon in den Alltag hinein mitgeteilt, Simon Lechner ist Wirt, er arbeitet gerade im Schankraum, als er ans Telefon geholt wird.
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1999 Heino Ferch – Simon Lechner, Katja – Tatjana Trieb, Johann – Robert Gwisdek

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Grüne Wüste hat eine Homepage: www.gruene-wueste.de

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