Filmszenen I „Sie sind ein kranker Scheisstyp..“. Teil 1 in: Der Schutzengel. Heino Ferch – Marc Bittner. 1997

Der Schutzengel. Heino Ferch - Marc Bittner

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„Sie sind ein kranker Scheisstyp, Bittner“. Teil 1 aus: Der Schutzengel. TV-Film. Regie: Uwe Janson, Drehbuch Susanne Mustacich, 1997

Macht und Unterwerfung.

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Die Psychologin Dr. Maria Fender, eine junge Akademikerin, probt beim Frühstück ihr Vorstellungsgespräch für ihren neuen Arbeitsplatz in einer psychiatrischen Verwahranstalt.

Dabei erfahren wir ihr Credo: sie glaubt, „dass eine intensive Psychotherapie auch für die kompliziertesten Fälle die Möglichkeit zur Resozialisierung bietet. Rehabilitation statt Verwahrung“. (Ein fataler Irrtum.)

In der Verwahranstalt um die es geht, sitzen perverse Sexualtriebtäter ein, die zu Mördern, Vergewaltigern, Totschlägern und Rippern wurden. Wir werden bald erfahren, dass Dr. Fender einen Helferkomplex hat.

Gläserne Streicherklänge ohne Melodie signalisieren Gefahr und Angespanntheit, Klangteppich.

Wir fahren mit ihr durch ein dunkles Garagentor in die bedrückende Umgebung dieses Gefängnisses ein, werden wenige Minuten später Zeugen schnell aufeinanderfolgender gewalttätiger Ausbrüche eines Insassen, der einen Wärter und dann einen Mitinsassen angreift.

Wir lernen Frau Dr. Alexandra Strauss kennen, die zukünftige Vorgesetzte von Dr. Maria Fender.

Dr. Strauss ist knochentrocken, hart, pragmatisch und desillusioniert und von Dr. Fenders Fähigkeiten nicht überzeugt. Ihrer Meinung nach fehlen Dr. Fender, die aus der Forschung kommt, Erfahrungen im Praxisalltag. (Sie hat Recht.)

Im Tumult der Angriffsszene fällt unser Blick eher beiläufig auf einen schmalen, vollbärtigen, eher in sich gekehrten, melancholisch wirkenden Mann mit traurigen Augen: Marc Bittner.

Foto

Der Insasse Arnold, der direkt vor Bittner lief, greift den Wärter an.

Schwenk auf das Gesicht Bittners. Es wirkt a priori unbeteiligt, schüchtern, traurig, porzellanhaft zerbrechlich.

Wir mögen ihn sofort.

Wir glauben, dass er vor der Gewalttätigkeit auch vielleicht Angst hat, nicht hineinverwickelt werden will. Da zeichnet sich plötzlich unter den melancholischen Augen ein kaum wahrnehmbares Lächeln um seine Mundwinkel ab. Warum?

Dr. Strauss wird es uns in ein paar Sekunden erklären.

Im Hintergrund der ungute Lärm brüllender Menschen, die nicht ganz bei sich sind, Anstaltsatmosphäre.

Die Farben alle bläulich, schwärzlich, es ist dunkel, verschattete Wände überall, eisig blaues, erbarmungsloses Licht.

Schon wieder ein Zwischenfall, Arnold, er ist ein wuchtiger Mann mit ca 120 kg Lebendgewicht, würgt einen am Boden liegenden Mitinsassen.
Bittner kniet daneben und spricht leise auf Arnie ein. Wir glauben, er will Arnold von seiner Würgerei ablenken.

Arnie knallt ihm eine, wie man nach einer Fliege schlägt. Die Wucht des Schlages schleudert Bittner rückwärts. Er kauert sich an die Wand, blutet aus der Nase. Ein zweiter Wärter schlägt auf einmal brutal auf ihn ein, Bittner quittiert jeden Schlag mit einem dumpfen Schmerzenslaut.

Dr. Strauss:

auf noch mehr Psychospielchen aus, Bittner?

Der Wärter hat Bittners Kopf auf den Boden gedrückt, die Hände auf dem Rücken gefesselt, Bittners Kopf in der Griffzange des Wärters, das Gesicht dramatisch blutverschmiert. Er knirscht zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus,

ich hab nichts getan.

Wir haben Mitleid mit dem scheinbar sanften Mann.
Unter dem harten körperlichen Zwang atmet er schwer, pressend. Er wirkt geradezu peinlich depriviert. Wir denken – muss das sein?

Die harte Frau über ihm hat die totale Macht, der Dialog ist extrem eindrücklich den Gefühlen Macht und Ohnmacht begleitet.

Dr. Strauss kennt Bittner:

Der arme Arnold wusste überhaupt nicht mehr wo oben und unten ist mit Ihnen in seinem Kopf

Jetzt begreifen wir Bittners Lächeln vorhin. Er hatte Arnie aufgehetzt, seine eigene Macht über das schlichte Gemüt Arnies ausgespielt und dann den Effekt genossen.

Dr. Strauss zieht eine sedierende Spritze auf und injiziert sie ihm, Geste totaler Macht.

Bittner wirkt wie unter starken Schmerzen, wir fühlen peinlich berührt seine völlige Ohnmacht. Er atmet schwer und bedrängt. Jetzt weint er – Das wollen wir nicht. Die Szene soll aufhören.

(Zartere Gemüter zappen spätestens jetzt auf die Sportschau oder den Musikantenstadel. Worum geht es hier eigentlich?
Es geht um Leid und Mitleid, Macht und Ohnmacht, Blut und Schmerzen. Wurks. Ist noch ein Bier da? – Mutti, bring´doch mal die Erdnüsse!)

Dr. Strauss setzt einen weiteren Impuls:

sie sind ein kranker Scheisstyp Bittner – zu blöd dass sie mich am Hals haben.

Huch, wie unsensibel. Wir mögen Dr. Strauss nicht und sind für Bittner. – Ein fataler Fehler, auch von uns.

Schnitt.

1997 Heino Ferch – Marc Bittner, Dr. Alexandra Strauss – Barbara Rudnik, Dr. Maria Fender – Christiane Paul
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Nachtrag vom 14.2.2008: s.a. Einen anderen Film, der auch einen Rettungs(Hilfe-)versuch an einem (in sich) Eingekerkerten beschreibt:

Birdy. Mit Nicolas Cage. Von Alan Parker->

Kommentar zu „Der Schutzengel“ Filmanfang:
Die Figurenzeichnung des Insassen einer Irrenanstalt Marc Bittner
deckt sich in Teilen mit der Exposition der Figur Sarah Connor in Der Terminator Teil 2 Judgement Day. (Gewaltanwendung gegen die Insassin des
Pescadero State Hospital-A Criminally Disordered Retention Facility., Beobachtung über den Bildschirm und ihr Text , der ihre Empfingungen schildert. vgl. Bittner: …ich gehe am Rand eines schwarzen…->

Sehr viele Anleihen in der Figurenzeichnung v.a. der Protagonistin und verschiedener Nebenparts macht der Film auch an den US-Amerikanischen Film

DVD-Cover Das Schweigen der Lämmer, 1991

Das Schweigen der Lämmer (The Silence of the Lambs, 1991)

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