Filmszenen I „..achzehn fuffzich.“ Teil 3 Szene aus: Grüne Wüste. Regie: Anno Saul, Drehbuch: Swenja Karsten, 1999

Teaser Film Grüne Wüste

Bildquelle und Bildrechte bei: Lichtmeer Film/ZDF/arte

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„..achzehn fuffzich.“ Teil 3 Szene aus: Grüne Wüste. Regie: Anno Saul, Drehbuch: Swenja Karsten, 1999


Eine niedrige Gaststube auf dem Land, gemütliche Beleuchtung aus kleinen Tischlampen, alles Holz, Herrgottswinkel, vergilbte Wände, es ist das Gasthaus von Simon Lechner, dem Vater von Johann, der im Krankenhaus liegt. Man weiss nicht, ob Johann leben oder sterben wird, Johann hat Leukämie.

Gäste mit vollen Biergläsern laufen durchs Bild, hinten im Halbdunkel der Schanktresen mit Katja, Johanns Freundin, die dort aushilft und Gläser spült.

Das Telefon läutet, Katja geht ran. Wir treten näher, stehen einen Schritt von Katja entfernt.

Bla bla Katja am Apparat.

Katja lauscht ins Telefon

Wieso

Nein

Nein ich bin die Freundin vom Johann

Nein, den hol ich erst, wenn sie mir sagen..

Wir treten langsam zurück. Katja lässt den Hörer sinken. Sie geht zum Durchblick in die Gaststube.
Die Stube ist voller Gäste, Simon steht an der hinteren Wand im Gespräch, er kassiert gerade ab.

Katja ruft ihn

Herr Lechner

Er schaut auf.

Telefon, der Johann..

Simon bleibt stehen wie eingefroren, dann kommt er, duckt sich unter dem niedrigen Durchgang, geht ans Telefon.

Katja geht weg. Leises Gemurmel der Gäste, warmes gemütliches Licht in der Gaststube, Kuckucksuhr an der Wand, wir stehen zwei Meter hinter Simon, sehen nur seinen Rücken, seine Gastwirtsweste, das karierte Hemd, die ausgebeulten Lederhosen, und hören seine Antwort.

Wir stehen da und warten, Simon lauscht in den Hörer, unsere Besorgnis steigt. Wir sind ausgeschlossen, Simon kehrt uns immer noch den Rücken.

Gäste laufen zwischen uns und ihm durchs Bild.

Die Sekunden ticken dahin.

Dann sagt er

Danke.

Das Danke klingt wie: Schluss.

Er legt auf.

Er schwankt einen Augenblick kaum merklich, geht dann um den Tresen herum, an dem Katja Gläser wäscht, nimmt seine Brille ab und schiebt sie in die Brusttasche seines Hemdes.

Er steht im Halbdunkel, man sieht nichts Genaues.

Das Abnehmen der Brille wirkt wie ein ich will nichts mehr sehen. Aus. Ende.

Dann schaltet er das Radio aus.
Er geht weg, direkt vor uns vorbei. Schnitt.

Gaststube. Angeschnittene Köpfe, Leute, die am Tisch sitzen. Rechts steht Simon im Profil nach rechts. Wir sehen seine Hände nicht, ahnen aber. dass er den Geldbeutel in Händen hält. Der Türholm begrenzt unseren Blick auf den Tisch mit den Gästen dahinter.

Er sagt leise, klar und schnell :

Wenn Sie bitte bezahlen und gehen, mein Sohn ist gerade gestorben.

…Achzehn fuffzich ….sagt er und nimmt einen Geldschein entgegen.

Seine Stimme ist leise, er spricht knapp, es wirkt extrem dramatisch, der Tonfall schneidet etwas ab, einen Vorgang.

Das Aufeinanderprallen von Banalem und Unerträglichem ist grotesk.

Simon schaut sehr ernst, die Augen wirken ungeschützt, seine Brauenspannung ist bei Null, über den Mundwinkeln auf den Wangen liegt Schmerz.

Beim Blick nach unten auf die Geldscheine ein winziges ruckhaftes Nachgeben seines Kopfes, das er sofort wieder auffängt und den Kopf anhebt, wirkt wie ein drohendes Einbrechen von völliger Auflösung.

Er steht die Situation mit letzter Kraft durch, eine hohe innere Disziplin kämpft mit dem nahenden Zusammenbruch.

Die Menschen zeigen Mitgefühl, einer erhebt sich und wendet sich an ihn, will ihn halten oder stützen. Simon übersieht die empathische Geste.

Alle stehen auf. Katja arbeitet weiter, weinend.

Leiser Streicherklang, einzelne Klaviertöne. Ziehend angehaltene Klänge.

Schnitt.

Simon steht allein in Mitte der leeren Gaststube, er schließt den Geldbeutel und lässt die Arme sinken.

Dann dreht er sich um sich selbst, sein Kopf macht ruckhaft suchende Bewegungen, er schaut herum, als wisse er nicht, wohin.

Dann geht er in den rückwärtigen Teil der Stube, setzt sich.

Wir stehen da, unserem Blick bietet sich die ganze Stube dar, gemütlich, Heimat, nur hinten an einem Tisch die schwarze Silhouette des Mannes, scherenschnittartig, klein.

Er ist irgendein Element des Ganzen, der Normalität. Gleichzeitig ist das der Mann, der  herausgerissen ist, aus allem Normalen.

Doris, die Frau, an die er sich klammert, wird in dieser Nacht ihren eigenen Mann verlassen um zu ihm zu ziehen.

1999 Heino Ferch – Simon Lechner, Detlev, Doris´ Ehemann – Ulrich Noethen Filmografie Ulrich Noethen Doris – Martina Gédeck, Katja – Tatjana Trieb.

Kommentar:

Meistens sind Darsteller, die solche Dinge thematisieren können, nicht blutvoll oder haben per se etwas Schwächliches, Gebrochenes.

Ferch nicht. Er kombiniert vitale Strahlkraft
und schonungslos sich einlassende Darstellung
in anstrengende unattraktive Gefühle
wie Schmerz, Trauer, Angst, Verzweiflung
zu einem mitreissenden, genialen
Appell an den Zuschauer.

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