Evolutionäre Ästhetik und Architektur: Gebäudefassaden.

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Bestimmte Kriterien erzeugen den Eindruck von befriedigendem ästhetischem Ausdruck bei Häuserfassaden. Diese Kriterien, blicken wir zurück auf die in Jahrhunderttausenden etablierte Grundausstattung des Menschen in Bezug auf ästhetische Wahrnehmung, lassen sich wiederum festmachen an Formen der Natur, in der sich der Mensch während seiner evolutionären Entwicklung über hunderte, tausende von Generationen aufgehalten hat.

Wichtig ist in Bezug auf die ästhetische Wahrnehmung die Ähnlichkeit der Fassade mit einem Phänomen der nichtartifiziellen, natürlichen Umgebung: der Felswand.

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Der Mensch nimmt, stellt er sich in Bezug zu Felswänden, bestimmte Schlüsselreize wahr: a. Blickrichtung: der Mensch ist klein, die Felswand hoch – daraus folgt die Blickrichtung nach schräg oben, steht der Mensch am Fusse der Wand. Am Fusse der Hauswand stehend wiederholt sich die Blickrichtung nach schräg oben, also die grundsätzlich identische Positionierung und Bezugnahme Mensch – Wand.

Das zweite evolutionär ästhetisch verankerte Kriterium bezieht sich auf die Struktur. Felswände zeigen Struktur, sie sind lebhaft mit Vor- und Rücksprüngen geschichtet. Diese Struktur der Mehrschichtigkeit, der Vor- und Rücksprünge an Felswänden wiederholt sich in Mustern.

Gibt eine Hauswand-Fassade diese beiden strukturellen Elemente wieder, bei Blickrichtung nach schräg oben eine mehrschichtige vor- und rückspringende und sich wiederholende Musterung, empfindet der Mensch diesen Anblick als „richtig“ – als „angenehm“.

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Ein drittes Kriterium ist der Eindruck des Loches, der Höhle. Die Evolution hat im Menschen verankert, dass der Anblick von dunklen Löchern als „unangenehm“ empfunden wird. Die evolutionäre Erfahrung verankerte durch die im Menschen die Verbindung: dunkles Loch in Wand istgleich „gefährlich“, in Löchern verstecken sich gefährliche Tiere, Bären, Wölfe, Moränen, Spinnen, Fledermäuse und andere unangenehme Überraschungen.

Ist nun eine Hausfassade so gestaltet, dass sie wie eine helle Felswand mit einer Vielzahl von dunklen Löchern (den Fensterlöchern) wirkt, so evoziert dieser Anblick augenblicklich ein unangenehmes Gefühl, der Anblick erzeugt ästhetische Abneigung.

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Bis zur Bauhauszeit wurde in Fassaden der Eindruck von dunklen Löchern in hellen Wänden vermieden. Dies geschah durch zwei Mittel: Allusion an Pflanzen, Stengel und Äste: das sog. Sprossenfenster. Die vertikale Sprosse alludiert auf den Pflanzenstengel, die horizontalen Sprossen auf die horizontal wachsenden Äste der Pflanze. Und: der Eindruck von Löchern in der Wand wurde verschliffen, zurückgedrängt. Es entstand der Eindruck einer lebhaft, aber geordnet gemusterten, Wand, die evolutionär ästhetisch die Schlüsselreize einer Felswand wiedergibt.bild_messberg-blick-auf-fassade-kontorhaus_20160308_chilehaus.jpg

Hierzu ist entscheidend, dass die Farben Schwarz und Weiss vom menschlichen Auge auf bestimmte Weise mit Distanzen assoziiert werden. Schwarz sinkt „nach hinten ab“, weiss tritt „nach vorne hervor“. Bis zur Bauhauszeit wurden grundsätzlich alle Fenster, Sprossenfenster-Rahmen weiss gestrichen. Daraus entstand der Eindruck, dass Stengel und Äste der Form, die auf die wachsende Pflanze alludiert, hell vor dunklem Hintergrund stehen. Die helle oder weisse Umrahmung jedes Fensters ließ dieses „nach vorne“ kommen, optisch wirkend wie  „auf“ die Hauswand“ gelegt. So wurde der unangenehme Eindruck von Löchern in der Wand vermieden.

Die lebhafte Schichtung der Felswand wurde – als evolutionsästhetischer Grundeindruck – durch Schichtung der Fassade mittels Ornamentik imitiert.  Der positive Eindruck visuell befriedigender Ästhetik beim Anblick der Fassade entstand durch ornamentale Schichtung und farbige Fassung, die das ornamentale Element hell vor dunklem oder dunklerem Hintergrund abhob. Dies entspricht dem in der Natur überall erscheinenden Phänomen, dass Pflanzen (daraus abgeleitet pflanzliche Ornamentik) hell vor dunklem Hintergrund erscheinen.

Moderne Gebäude des 21. Jhs bevorzugen den weiss-schwarz Kontrast mit blendend weissen Fassaden und schwarzen Fensterlöchern. Evolutionärästhetisch evoziert dies den Eindruck von Winter und von tot. Je schwächer Farben in der Natur werden, desto näher befindet sich die Pflanze , der Farbträger am Absterben. Lebende Blätter sind leuchtend grün, abgestorbene Blätter sind fahlbraun.

 

Andrea-Maria Glaser M.A. 31.10.2019

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