Filmszenen I Das zarte Timbre der Vertrautheit. Hölle im Kopf – Fernsehspiel. Regie: Johannes Grieser, Drehbuch: Holger Joos, ZDF, 2004


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Das zarte Timbre der Vertrautheit. Hölle im Kopf – Fernsehspiel. Regie: Johannes Grieser, Drehbuch: Holger Joos, ZDF, 2004

Rezension

Fernsehspiel ist kein episches Erzählkino.

Deklariert als Kammerspiel warnt es den Zuschauer: es könnte intellektuell fordernd und emotional langweilig werden.

Langeweile kam in keinem Moment auf, da die Handlung grenzwertig in den Genres von Psychothriller und Übersinnlichem Thriller angelegt war.

Wir wussten nicht, ob die Personen aus der Vergangenheit des Protagonisten Marc Hofmann dessen eigenen Halluzinationen zuzuschreiben waren,
oder ob wir diese Personen kraft übersinnlicher Vorgänge als auch für uns gegenwärtig deklarieren sollten.

Wir glauben sehr lange Zeit, einen zunehmend psychotischen Mann zu sehen und werden am Schluss des Spiels von der Wendung überrascht, dass wir es mit einer gemeingefährlich  psychotischen Ehegattin zu tun hatten,  die ihren Mann durch mentale Zermürbung aus dem Weg räumen wollte.

Motiv: Hass und Enttäuschung über verletzte Solidarität – Marc  Hofmann hatte ein Verhältnis zu einer zweiten Frau gehabt.

Marc Hofmann muss erkennen, dass er nicht mehr geliebt, sondern gehasst wird.  Konsequenz: er liefert Sarah aus. Das Ergebnis: er ist zwar Sieger dieses Zweikampfs, das Schicksal hält ihm trotzdem die Rechnung hin:

er ist allein, seiner geliebten Frau beraubt, ab sofort und dauerhaft.

Die Ausstattung
Ich kann an dieser Stelle nicht darauf verzichten , die Ausstattung zu beschreiben. Sie ist für den Film wichtig.

Intelligent gemacht, überraschende Wendungen, packend, interessant, aber es ist ein hässlicher Film – Filme sind Bilder, bewegte Bilder.

Er ist ästhetisch hässlich.

Das Ausstattungsteam hat sich Mühe gegeben, die klaustrophobische Situation der beiden Eheleute in den Motiven, der Farbcodierung und der Wohnsästhetik der beiden zu unterstreichen.

Marc und Sarah leben in einem modernen Sep Ruf – artigen weissen Beton-Würfel.

Wogende atmende Natur, alter Baumbestand, grüne Blätter, gibt es nur jenseits der hohen weissen Gartenmauer. Die Einrichtung des Hauses ist hochmodern, japanisch angehaucht, der rechte Winkel dominiert, viel Neonlicht, auch im Schlafzimmer. Das Ehebett, der intimste Raum, in dem ein hoher Grad an Vertrautheit herrschen sollte, ist von einer glänzenden  Milchglasneonlicht-Wand hinterfangen, die Möbel grau, schwarz, weiss.

Die Farbe grau dominiert den Film so obstinat, dass man allein davon eine Depression bekommen kann.

Marc Hofmann trägt, seiner psychischen Verfasstheit entsprechend, graue Kleidung in allen Varianten von betongrau, silbergrau, steingrau, graphitgrau, schwarz, schwarz-weiss (Mischton= grau) anthrazitgrau, langsam wird seine Haut auch immer grauer. Grausig.

Die graue Einrichtung des Hauses erlaubt nur einen einzigen Farbakzent: eine tiefblutrot gestrichene Wand an der Rückseite des Wohnzimmers -passend zu den blutverschmierten Händen von Sarah Hofmann.

Dominierend die abstrakten Wandbilder, die sich in jede Szene in den Hintergrund, nein aus dem Hintergrund ins Auge des Betrachters drängen.

Es sind japanische abstrakte Pinselzeichnungen, rabenschwarze gestische Striche auf blendend weissem Grund, Rohrschach-Tests, Echos der bedrängten Psyche. Die Bilder spielen in jeder Szene so aktiv mit, dass sie wie ein Enzephalogramm der gestressten Hirnströme von Sarah und Marc wirken.

Es erübrigt sich, zu erwähnen, dass der Saab des Architekten graphitschwarz ist, was sonst. Ächz.

Auch das einzige Aussenmotiv, dass vielleicht aufgrund seiner räumlichen Weite aufatmen liess, ist ein gigantischer Betonbau an einem gigantischen Betonplatz. Die beiden wirken davor unbeschützt.

Bunt sind die Figuren, von denen unklar ist, ob sie wirklich existieren oder nur imaginiert sind.

Rückblenden in die Kindheit des Architekten sind natürlich schwarzweiss-sepia. Schwarzweiss – Fotos (Handlungsmotiv aus „Der Sandmann“ mit Götz George, Regie Nico Hofmann, 1995?)

Sarah darf beige Kleidung einführen.

Lebenspralles Gegengewicht zu den betonschwer problembeladenen leichengrauen Ehepaar ist die Arbeitgeberin von Sarah, eine Galeristin mit brandrotem Haar und herrlich in orange rot rostrote warme Farben gekleidet. Schnell versuchen wir, uns an ihr und ihrem goldbraunen Frühstückbrötchen sattzusehen, bevor es aschgrau weitergeht.

Marc Hofmann hat ein Problem mit seiner Gefühlskontrolle. Er oszilliert zwischen Wutausbrüchen, die unwiederbringlich seine Beziehungen zerstören und, wenn das Gefühlspendel in die Gegenrichtung ausschlägt, einem Abgleiten in Selbstzensur und Tränen.

Ratlos

Nachdem er seine Frau physisch angegriffen und verängstigt hat, kommt die Erkenntnis, dass er ihr nicht garantieren kann, sie von seiner Aggressivität freizuhalten.

Er sitzt mit verschränkten Armen, wie um sich selbst festzuhalten, da, in seinem betongrauen Pullover und wir sehen seine große innere Bedrängtheit, die ihn sich langsam in Tränen verkrampfen lässt.

Seine Frau sitzt hinter ihm und umfasst ihn von hinten stützend an den Armen.

Wir fühlen nichts.

Wir sehen einen weinenden Mann, der unser Mitleid verdient hat und fühlen nichts.

Ferch-, niemand sonst stellt genau solche Situationen von Bedrängtheit, Angst, Panik, Bedrücktheit und Auswegloser Verzweiflung so dar, dass es uns hinters Brustbein fährt, unser Herz packt und zusammenpresst, den Atem nimmt und unsere Muskulatur versteift wie in einem kataleptischen Anfall.

Heute nicht.

Warum nicht?

Vielleicht ist es die Reihenfolge. Diese Szene kommt ziemlich weit vorne im Film. Eine derartige  für einen Mann extreme Reaktion im Bereich persönlicher Schwäche wäre absoluter Höhepunkt, wir hätten mehr Zeit gebraucht, um uns mit Marc Hofmann zu identifizieren, ihn kennen zu lernen, für ihn Sorge zu haben.

Vielleicht hätte die Szene 30 Min später uns das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Vielleicht liegt es an der Kameraeinstellung. Kein close up, sondern eine eher berichterstattende Halbtotale. Sie erlaubt uns eine distanzierte Haltung.

Vielleicht ist es das Fehlen von deutlichen Kontrastfiguren, deren Emotionen uns Varianten und andere emotionale Blickwinkel hätten anbieten können. Die beiden Protagonisten haben alles an Darstellung seelisch-psychischer Entwicklung quasi allein zu tragen, eine beachtliche Last.

Vielleicht ist es aber auch die psychische Verfasstheit von Marc.

Er ist nie da. Er ist einfach nie dort, wo sein Körper ist, er ist ständig weit weg, in der Vergangenheit, in seinen Sorgen, in der Zukunft, in seinen Zweifeln und Fragen, er ist derartig mit Dingen ausserhalb des Raumes beschäftigt, in dem sich sein Körper befindet, dass wir ihm nicht an die Seite treten können.

Er schaut und sieht nicht. Es ist eine Art Angestrengtheit im Darstellerischen zu spüren.

Folge: unsere Empathie bleibt intellektuell.

Und es gibt Szenen, die wie emotional fehltemperiert wirken und deshalb unfreiwillig in eine nicht beabsichtigte Komik abkippen.

Beispiel: Nach bereits längerem Konsum von Psychopharmaka sehen wir den entlassenen und deshalb unterbeschäftigten Architekten in seinem Büro sitzen und die Zeit totschlagen mit dem, was Architekten sonst so tun.

Sie bauen Modelle für Hochhäuser.

Eingeschränkt zurechnungsfähig

Anfangs hatte Marc vor seinem kritischen Kunden in einem cholerischen Anfall das Hochhausmodell seines großen 1,5 Jahre-Projektes in Stücke geschlagen.

Jetzt sitzt er da und baut aus den leeren Tablettenschachteln sein privates Modell eines Hochhauses – er hat bereits mindestens 150 Tablettenschachteln verbaut.

Der Turm hat die Ausmasse eines Backofens und soll uns etwas über die bereits vergangene lange Zeitspanne mitteilen; – dass unser Protagonist all diese Tabletten schon konsumiert hat.

Um eine solche Unmenge von Tabletten zu verbrauchen, hätte er sie schätzungsweise drei bis vier Jahre schlucken müssen. Dazu kommt die emotionale Temperiertheit.

Marcs Bewegungen sind hastig, zeitrafferhaft drängend auf die banale Tätigkeit des Bekleisterns der Schachteln gerichtet. Seine Miene überzogen konzentriert. Das soll etwas über den eingeschränkt zurechnungsfähigen Zustand des Patienten mitteilen.
Die Szene wirkt altmodisch. Sie hätte Platz in einem Film aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Die Szene kann m.E. nicht ausdrücken, was sie aussagen soll. Marcs hastiges Kleistern mit hochernster Miene vor dem unglaubwürdig großen Turm kippt leider in unfreiwillige Komik.

Ich erzähle jetzt nichts über die m.E. unzureichend für uns transparent gemachte innerpsychische Motivation von Marcs Griff zur Waffe. Da scheint ein weiter Sprung in den innerpsychischen Vorgängen, den wir höchstens intellektuell mitspringen können.

Hand-Werk

Unverständlich bleibt auch, warum in einer der späteren Szenen, Sarah hat sich die Hände an einem Spiegel zerschnitten, das Blut an diesen Händen staubtrocken ist, als sie die Waffe, die sie verstecken will, anfasst, völlig blutspurlos in ihre Kassette zurücklegt, ebenso blutspurlos die Kassette in den Schrank zurücklegt und Minuten später, als sie den Knopf des Videorekorders drückt, ihr Blut wieder so flüssig ist, dass es den ganzen Rekorder befleckt. Die Nahaufnahme ihrer Hand zeigt frisches nasses Blut. Das Blutwunder von Grünwald.

Gegenbeispiel: Vertrautheit

Es gibt Momente, in welchen sich diese Angestrengtheit, diese emotionale Fehltemperierung schlagartig auflöst.

Es sind die Momente, in denen zwischen Marc und Sarah die Erinnerung an die Art ihrer Beziehung, ihrer Liebe, aus alteingespielter Gewohnheit über die aktuelle Extremsituation siegt.

Es sind die kleinen zeitlosen Gesten der vertrauten erotischen Zuneigung, wenn Marc ihr einen Kuss aufdrückt, irgendwohin, ungezielt, vielleicht trifft er die Wange, vielleicht die Stirn, seine Lippen offen, empfangend, er mag die ganze Frau, überall.

Im Bett legt er einmal seinen Kopf an den Leib seiner Frau, das wirkt eminent vertraut, er erlaubt ihr, ihn zu schützen. Einmal ist sie wach, er liegt noch schlafend, sie ist halb aufgerichtet, ihr Kopf ist viel höher als seiner, sie streichelt ein bisschen seinen Hals, damit er ohne Schreck aufwacht. Äusserst intime mikroskopische Momente, die viel von einer ehemals glücklichen Beziehung erzählen.

Leise Ironie ab und an von seiner Seite, die ahnen läßt, dass er vielleicht früher unterhaltsam war, sie oft amüsiert, zum Lachen gebracht hat.

Sein Blick dabei auf sie wacht auf, transportiert wache Freude am anderen, Erinnerung an Lust. Da ist sie wieder, diese hinreissende ferch´sche Präsenz.

Vielleicht ist es sogar so, dass dieser Film in der Arbeit des Schauspiers eine neue Qualität in der Darstellung von körperlicher Beziehung einführt.

Dem Fordernden, Gezielten, sogar manchmal Gejagten, Gehetzten, Gierigen, Hinausstossenden, Ungeduldigen  früherer Projekte ist hier etwas an die Seite getreten, das ganz in die Gegenrichtung weist.

Es ist wie ein Einatmen, ein Einlassen,
eine zarte Ungezieltheit,
ein Verströmen, Laufenlassen,
das sich fast horchend öffnet
und seinem erotischen Ausdruck
ein neues interessantes Timbre hinzufügt.

Sarah Hofmann – Claudia Michelsen, Marc Hofmann – Heino Ferch Galeristin – Hannelore HogerMehr zum Film: www.zdf.de Suche: Stichwort:  Hölle im Kopf
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(Kommentar:

Hölle im Kopf und Mord am Meer, beide 2004, zeigen zweimal die Abrechnung eines Mannes für einenVerrat, den eine Frau begangen hat.

Nachtrag Marginalie: Der Protagonist  fährt einen schwarzgrauen SAAB. Der SAAB wird zerstört. Auch das ist ein Symbol, Symbol für die Zerstörung gemeinsamer Erinnerungen. )

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